Corona bremst den Fast Fashion-Exzess – mit Regulierungen zur Wertschätzung in Bangladesch

Von Lutz Baltruweit

Was passiert nach Krisen? Entstehen Krisen nicht aus Fehlern? Und wenn ja, lernen wir dann aus Krisen? Brauchen wir also ein Reset des Alten oder den Aufbau von etwas Neuem? Ist die Corona-Pandemie der Weckruf in der Textilindustrie und zugleich, während unserer Entschleunigung des alten Systems, die Starthilfe für den öko-sozialen Wandel in Bangladesch?

Am 22. April 2020 veröffentlichte die International Labour Organization (ILO) den Covid-19 Action Plan. Die Organisation setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein und möchte nun die Ausnahmesituation nutzen, um die längst fälligen Veränderungen anzupacken.

Doch die Probleme der Fast Fashion beginnen nicht bei der Pandemie. Schon seit Jahren kritisieren Umweltschützer*innen und Menschenrechtler*innen die schädliche Produktionsweise und ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse der Branche: Flüsse werden vergiftet, Näher*innen unter einstürzenden Häusern begraben, von fairen Löhnen ganz zu schweigen. Kann die Corona-Entschleunigung der Schlüssel zum Wandel sein?

Lockdown, Einstellung der Produktion und Stillstand machten im Frühjahr auch der Textilindustrie zu schaffen. Läden wurden geschlossen, Aufträge von den großen Handelsketten storniert und Textilarbeiter*innen massenweise nach Hause geschickt. Allein in Bangladesch waren die Auswirkungen für Millionen von Menschen existenzbedrohlich.

Die Konsequenzen von Corona in der Textilindustrie laut http://bgmea.com.bd

Die dunkle Seite der globalen Textilproduktion

Durch die Pandemie ist der Gesamtbevölkerung stärker bewusst geworden, dass die jetzige globale Wertschöpfungskette eine gewaltige Kehrseite hat: Ungleichheit, fehlende Solidarität, systemische Verwundbarkeit, Ausbeutung und Überproduktion sowie Abhängigkeit von Monopolen in den globalen Lieferketten. Doch all diese multidimensionalen Probleme sind veränderlich und letztlich lösbar durch die die Regulierung und Auflösung der globalen Machtasymmetrie. Sowie durch die Förderung von nachhaltiger Entwicklung und vom Bewusstsein der Konsumenten*innen.

Die erschöpfte Wertausnutzungskette

Das Coronavirus führte zwar zu extremen Engpässen, aber die gesellschaftliche Entschleunigung bietet uns als Menschheit die Gelegenheit, die Welt neu zu denken und Transformationen zu beschleunigen. Sämtliche Einkaufsläden waren Covid-19-bedingt wochen- und monatelang geschlossen und dennoch mussten allerhand Fixkosten ohne Einnahmen bezahlt werden. Doch hierbei blieben vor allem die Löhne der Näher*innen, die für Auftraggeber wie Topshop, C&A, Gap, Levi Strauss & Co., Primark, Urban Outfitters, Walmart und viele mehr arbeiten, rücksichtslos auf der Strecke. Sogar jene, die trotz hoher Infektionsgefahr hart arbeiteten, wurden nicht vollständig oder gar nicht bezahlt, berichtet Kalpona Akter, Direktorin der Bangladesh Center for Women Solidarity, im Gespräch mit Femnet. Die ohnehin nicht existenzsichernde Bezahlung von umgerechnet 39 Cent pro Stunde in Bangladeschs Bekleidungsindustrie ermöglicht es Firmen, für ihre Marken mit besonders günstigen Angeboten zu werben. Der spottbillige Kaufpreis ist deshalb ein deutlicher Indikator für Billigproduktion. Wie Peter McAllister vom internationalen Bündnis Ethical Trading Initiative sagt, stehe der Preis in keinem Verhältnis zur erbrachten Schweißarbeit und den unbezahlten Überstunden der Arbeiter*innen. Viele verdienen weniger als den bangladeschischen Mindestlohn.

Foto: Volker Rekittke

Der Covid-19-Plan

Gemeinsam mit der International Organisation of Employers, der International Trade Union Confederation und der IndustriALL Global Union stellt die ILO Maßnahmen und Forderungen für den Schutz der Arbeiter*innen auf. Um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, sollen Arbeitgeber*innen sichere Verkehrsmittel für den Arbeitsweg stellen. Außerdem sollen Krankenversicherungen für alle zur Verfügung stehen. So können Arbeiter*innen mit adäquatem Krankengeld im Falle einer Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit wie Covid-19 entlastet werden. Damit wird zudem das Gesundheitssystem vor weiteren Masseninfektionen präventiv bewahrt. Gerade in Zeiten von Krisen herrscht eine enorme Instabilität, da Arbeitnehmer*innen ohne Absicherung entlassen werden. Arbeiter*innen, die weniger als ein Jahr für das Unternehmen gearbeitet hatten, verloren von einem Tag auf den anderen ihren Job, berichtet Kalpona Akter. Sie fügt außerdem hinzu, wieder anderen wurde wegen Auftragsstornierungen fristlos gekündigt. C&A und Primark stornierten vieles komplett über Nacht. Kein Job, kein Geld, kein Essen. Keine Chance, dass das so weitergehen kann, wird im Covid-19 Action Plan betont. Ein Kündigungsschutzgesetz, Hilfsfonds und die Eingliederung einer Gewerkschaft inklusive eines Mindestlohnkomitees werden verlangt.

Apropos Mindestlohn: 2018 wurde der Mindestlohn auf 8.000 Taka von der Regierung festgelegt. Das geschah jedoch erst nach dem langen Blockieren seitens der größten landesweiten Handelsorganisation von Bekleidungsherstellern, der BGMEA. Sie vertritt die Interessen der Regierung und hat entscheidenden Einfluss auf den Verdienstsektor des Landes im Außenhandel. 8.000 Taka sind umgerechnet ca. 84 Euro pro Monat. Viel zu wenig, sagen Asia Flow Wage Alliance, Clean Clothes Campaign (CCC) und die Gewerkschaften in Bangladesch, darunter auch die National Garment Workers Federation. Sie fordern für die Arbeiter*innen 16.000 Taka, umgerechnet ca. 166 Euro, um ein sicheres Leben in Bangladesch zu ermöglichen. Damit diese Forderung nicht untergeht und Unternehmen sich nicht der Verantwortung entziehen, wendet sich CCC gezielt an Modemarken wie H&M und Hugo Boss und fordert diese unter dem Motto „a real BOSS pays a living wage“ dazu auf, 16.000 Taka als Mindestlohn festzulegen.

Die Corona-Pandemie hat unseren Alltag verlangsamt und auf den Kopf gestellt, vielen kostete sie sogar das Leben. Altbekannte Missstände schärfen sich immer weiter zu. Menschen, erschöpft vom kapitalistischen Druck, zahlen die Rechnung. Die Konsumenten*innen schaffen die Nachfrage, nicht vice versa. Deshalb beeinflusst jede einzelne Konsumentscheidung den Markt und kann somit auch die politischen Prozesse unterstützen, die sich langsam danach ausrichten, dass überall die Menschenrechte bewahrt werden. Diese Krise hat viele Schattenseiten, aber sie kann auch der Katalysator für Wandel sein. Es gilt daher nicht, den Reichen unter die Arme zu greifen, um diese mit jedem Verkauf immer reicher zu machen. Sondern ihnen solange auf den Füßen zu stehen, bis alle Arbeiter*innen in der Wertschöpfungskette mit Würde und existenzsichernden Löhnen wertgeschätzt werden.