Wie nachhaltig ist „Deadstock“?

Von Cara Harstick

Vielleicht hast du schon einmal Marken gesehen, die damit werben, mit Deadstock zu produzieren. Sie preisen dies als nachhaltig an, doch wie nachhaltig ist es wirklich?

Was ist Deadstock eigentlich?

Deadstock beschreibt einen Bestand von Stoffen in einer Weberei, welcher von den ursprünglichen Auftraggeber*innen nicht mehr benötigt wird. Das kann passieren, wenn die Kollektion nicht gut bei den Konsument*innen ankommt oder es einen Fehler in der Produktion gab. Die Schnelllebigkeit von Trends verstärkt diese Überproduktion immer mehr. Große Fast Fashion-Brands wie Zara und H&M bringen fast wöchentlich neue Kollektionen auf den Markt. Falls die Trend Prediction, also die „Trendvorhersage“, einer der 52 Kollektionen nicht korrekt ist und die Nachfrage deshalb gering, dann entsteht Deadstock. Deadstock kann also bereits produzierte Kleidung sein. 2018 berichtete die New York Times, dass H&M auf unverkaufter Kleidung im Wert von 4,3 Milliarden USD sitzt. Für diese bereits produzierten Kleidungsstücke gibt es meist nur noch den Weg zur Mülldeponie.

Der Deadstock an Stoffen, der noch nicht zu Kleidung weiterverarbeitet wurde, landet aber nicht zwingend auf dieser. Oft handelt es sich bei diesen Stoffen um so große Mengen, dass kleinere Firmen daraus noch ein neues Kleidungsstück in hundertfacher Auflage auf den Markt bringen können. Die Auftraggeber*innen dieser Produktionen übernehmen keine Verantwortung für die überschüssigen Produkte – es sind vielmehr die Webereien, die nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben wollen und deshalb versuchen, die Ware weiterzuverkaufen. Natürlich sind diese Kleidungsstücke, abhängig davon, wie viel Stoff zur Verfügung steht, auch limitiert. Kleinere Unternehmen oder Start-Ups kalkulieren aber sowieso nicht mit den Stückzahlen, mit denen es große Fast Fashion-Retailer tun, weshalb Deadstock hier gelegen kommt.

Das Ausmaß der Verschwendung

Die Modeindustrie als Teil der Textilindustrie ist für 5% der globalen Emissionen verantwortlich – für mehr als internationale Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Abgesehen von diesen Emissionen entstehen weitere gravierende Schäden, bis der fertige Stoff auf der Rolle ist und überhaupt erst zu Kleidung weiterverarbeitet werden kann. Der Anbau von Baumwolle mit Glyphosat und anderen synthetischen Düngemittel ist umweltschädlich und gefährdet die Gesundheit der Bauern und Bäuerinnen. Stoffe zu färben benötigt Unmengen an Wasser und vergiftet Mensch und Umwelt mit den schädlichen Chemikalien. Die Herstellung einer Jeans benötigt im Schnitt 8000 Liter Wasser. Weber*innen und Näher*innen müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen für geringe Bezahlung arbeiten und sind täglich gesundheitlichen Gefahren durch Chemikalien, Fasern und maroden Fabriken ausgesetzt. In vielen Produktionsländern wird zudem das Recht auf Gewerkschaftsfreiheit stark eingedämmt.

Allein in Deutschland bleiben jährlich 230 Millionen Textilien unverkauft, wovon ein großer Teil in die Müllverbrennung gelangt.

Vorteile der Verarbeitung von Deadstock

  • Anstatt neue Stoffe zu produzieren, greifen kleinere Unternehmen auf sowieso schon produzierte Materialien zurück. Dies wirkt Verschwendung entgegen.
  • Die Wertschöpfungskette wird geschlossen. Schäden, die Menschen und Umwelt widerfahren, geschehen also nicht „umsonst“.

Nachteile

  • Je nachdem, welchen Anspruch Konsument*innen an ihre Kleidung haben: Es ist schwer nachzuvollziehen, wo die Stoffe herkommen. Sehr wahrscheinlich wurden sie unter umweltschädlichen und menschunwürdigen Bedingungen produziert.
  • Greenwashing: Nur, weil eine Marke mit Deadstock produziert, heißt das nicht, dass die daraus entstehende Kleidung unter guten Arbeitsbedingungen gefertigt und mit fairen Löhnen bezahlt wurde.

Also?

Die Produktion von Deadstock selbst ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nachhaltig und fair. Die Weiterverarbeitung von diesen Überschüssen in der Produktion kann nachhaltig sein, muss es aber nicht. Hier kommt es jeweils ganz auf das Unternehmen an. Viele Unternehmen, die mit Deadstock arbeiten, schreiben sich Nachhaltigkeit und Fairness auf die Fahne und werden daher auch auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen für die Näher*innen achten. Es gibt aber auch Unternehmen, für die die Arbeit mit Deadstock schlichtweg günstiger ist, die also nur profitorientiert handeln und sich das Schlagwort Deadstock zugutekommen lassen, um Nachhaltigkeit vorzutäuschen.

Um sicher zu gehen, dass man sich nicht durch Greenwashing-Strategien täuschen lässt, ist es immer ratsam, auf die „About“-Seite eines Modelabels zu gehen. Je weniger transparent und konkret die Aussagen sind, desto mehr muss man davon ausgehen, dass das Unternehmen leider keinen Wert auf faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und eine nachhaltige Produktion legt.

In Anbetracht der gravierenden Schäden, die für Mensch und Umwelt entstehen, bis ein Stoff überhaupt einmal gewebt ist, ist es meiner Meinung nach trotzdem zu befürworten, Deadstock ein zweites Leben zu geben. Ganz wichtig ist aber auch, nicht davon auszugehen, dass eine Firma, die mit Deadstock produziert, gleichzeitig auch im Bereich Arbeitsbedingungen/Löhne hohe Standards hat.