Der weite Weg zum Lieferkettengesetz

Foto: medicointernational

Nathalie Waldenspuhl

Die Debatte über Produktionsbedingungen der Textilindustrie wird schon länger geführt. In beinahe beängstigender Routine kommen KiK, H&M und Co. mit Skandalen in die Schlagzeilen. Wer erinnert sich nicht an die Berichte über eingenähte SOS-Botschaften, die Primark-Kund*innen in den Etiketten ihrer Kleidung gefunden haben. „Forced to work exhausting hours“ – die Authentizität der Inschrift wurde zwar von vielen Seiten angezweifelt, wohl aber machte sie auf ein gravierendes Problem aufmerksam: Die internationale Textilindustrie gefährdet das Wohl ihrer Arbeiter*innen.

Dieser Artikel soll einen Überblick geben, wie die deutsche Politik in den letzten Jahren gegen Ausbeutung und Preisdumping in der Textilbranche vorgegangen ist.

Das Internationale Engagement wächst

Im Jahr 2011 veröffentlichen die Vereinten Nationen die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Das Werk umfasst 31 Punkte, die als Anregung für Regierungen und Unternehmen dienen sollen, das jeweilige wirtschaftliche Handeln human zu gestalten. „Schutz, Achtung und Abhilfe“ stehen als humanitäre Säulen im Mittelpunkt. Auch wenn es sich nur um Empfehlungen handelt, zeigt die Richtlinie Wirkung. Endlich wird in der Wirtschaft – und damit auch in der Textilbranche – die Frage nach Respekt und Menschlichkeit im Hinblick auf Produktionsprozesse laut: Noch im selben Jahr fordert die EU ihre Mitgliedsstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinien auf nationaler Ebene auf.

… und was passiert in Deutschland?

Jedoch kommt die deutsche Regierung dieser Aufforderung zunächst nicht nach. Erst nach den Wahlen im Jahr 2013 setzt man sich eine Umsetzung zum Ziel. Fünf Jahre nach dem UNO-Postulat verabschiedet die Bundesregierung schließlich den nationalen Aktionsplan. Mit dem Ziel, „die Menschenrechtslage zu verbessern“, liefert die Bundesregierung eine deutliche Erwartungshaltung an den Staat und an deutsche Unternehmen, ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen. Jegliche wirtschaftliche Prozesse, die von den beiden Akteuren getätigt werden, sollen ohne die Beschneidung von Menschenrechten geschehen. Dies betrifft vor allem Unternehmen, deren Lieferketten in Ländern ansetzen, in denen es kaum Gesetze für Arbeitgeber gibt. Die Unversehrtheit des Menschen, Sozial- oder Sicherheitsstandards werden nur unzureichend abgesichert. Insbesondere die Produktion von Textilien, die in Deutschland verkauft werden, findet überwiegend in solchen Entwicklungs- und Schwellenländern statt, wie dieses Diagramm des Statistischen Bundesamts zeigt.

Foto: Anna-Maria Schuttkowski

Menschenrechte sollen in jedem wirtschaftlichen Prozess eingehalten werden. Für Unternehmen darf daraus aber kein Nachteil im Wettbewerb entstehen. Auf 31 Seiten stellt die Bundesregierung also Bedingungen auf und macht selbst Zugeständnisse, um „Pflichten bzw. Verantwortlichkeiten für Staat und Wirtschaft aufzuzeigen“. Letztendlich bleibt der Plan aber lediglich eine „freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen“.

Der Preis der billigen Kleidung

Abgesehen von zahlreichen Ausschussbildungen, Debatten und Publikationen ist in den Jahren von 2011 bis 2016 einiges passiert: In sämtlichen Fabriken, die als Zulieferer zahlreicher Textildiscounter gelten, wurden die Beschäftigten Opfer von widrigen Arbeitszuständen. So brannte im September 2012 die Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi/Pakistan nieder. 258 Menschen kamen dabei um ihr Leben. Ali Enterprises ist unter anderem Zulieferer des Textildiscounters KiK.

Am 24. November 2012 starben 112 Mitarbeiter*innen einer Fabrik des Zulieferers Tazreen bei Dhaka/Bangladesch. Einer ihrer größten Kunden ist das Bekleidungsunternehmen C&A.

Ein tragischer Höhepunkt ereignete sich am 24. April 2013 ebenfalls in Dhaka. Ein fünfstöckiges Gebäude der Firma Rana Plaza stürzte ein und tötete 1.136 Menschen.

Diese drei Katastrophen sind nur ein Bruchteil, wohl sind sie aber stellvertretend für das Problem in der Textilbranche: Brutalität und fehlende Menschenrechte. Das Erschreckende hierbei ist jedoch, dass die Auftraggeber dieser Kleidungsfirmen, die die Marktpreise vorgeben und mit diesen exzessives Preisdumping betreiben, kaum zur Rechenschaft gezogen werden können. So wurde eine Zivilklage gegen das Unternehmen KiK im Fall Ali Enterprises vom Landesgericht Dortmund wegen Verjährung nach pakistanischem Recht zurückgewiesen. Zu Recht stellt man sich die Frage, ob freiwillige Richtlinien zur Menschenwürde ausreichen, um Humanität in die Bekleidungsbranche zu bringen.

Freiwilligkeit genügt nicht

Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) bemüht sich nach einer Serie von tödlichen Fabrikbränden um konkrete Lösungsansätze außerhalb des Plenarsaals: Er gründet das Textilbündnis. Der Zusammenschluss besteht aus 130 Akteuren aus den verschiedensten Bereichen, darunter sämtliche Wirtschaftskräfte, Gewerkschaften, NGOs und nicht zuletzt auch die Bundesregierung. In Projektgruppen sollen die einzelnen Mitglieder mit Expert*innen eigene Ziele erarbeiten, die dann in Review-Prozessen evaluiert werden. Zusammen will man ein globales Ziel erreichen: Die Bedingungen der Textilproduktion verbessern.

Doch auch Müllers Projekt basiert auf Freiwilligkeit. Die Ziele müssen nicht unbedingt erreicht werden; es wäre schön, wenn. Das erklärt auch der Blick auf die Teilnehmerliste: Nicht ohne Verwunderung findet man neben regionalen Textilproduzenten wie Trigema auch die typischen Fast-Fashion-Vertreter. Es ist fast schon paradox, die bereits kritisierten Unternehmen KiK, Primark und H&M an der Seite von Menschenrechtsorganisationen wie Femnet oder dem allseits bekannten Fair-Trade-Siegel zu sehen. Ob es sich bei diesem Bündnis nicht doch um massives Greenwashing handelt, bleibt also fraglich.

Auch Müller gelangt zum Fazit: Freiwilligkeit genügt nicht, um einen globalen Standard für menschliche Produktionsbedingungen zu setzen. Er selbst sagt, man müsse leben können von 48 Stunden Arbeit.

Foto: Anna-Maria Schuttkowski

Ein Gesetz muss her

Im Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode ab 2018 strebt man daher neue Ziele an: Stimmen nach einem Lieferkettengesetz werden laut. Zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) positioniert Müller sich für die „Pflicht zum Handel“.

Noch im selben Jahr geht das Bundesentwicklungsministerium in die Offensive und befragt – eigenen Angaben zufolge – über 7000 deutsche Unternehmen nach deren Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards in ihren globalen Lieferketten. „Ich lasse es nicht mehr gelten, dass deutsche Unternehmen sagen, wir können die Bedingungen in unseren Produktionsstätten nicht kontrollieren“, positioniert Müller sich öffentlich. Sollte die Umfrage zeigen, dass über 50% der befragten Unternehmen ihren Produktionsprozess nicht adäquat nachverfolgen, so ist ein Gesetz fällig. Denn „an der Verantwortung der deutschen Wirtschaft“, so Heil, „wird am Ende nichts vorbei gehen“.

Über die Ergebnisse dieser Umfragen ist bislang noch nichts bekannt. Jedoch war für Anfang März dieses Jahres eine erste Sitzung zu einem Gesetzesentwurf von Müller und Heil angesetzt. Zu diesem kommt es aber nicht. Das Wirtschaftsministerium sagt die Sitzung ab. Man wolle zunächst das Ergebnis der Umfragen abwarten, „gesetzliche Regelungsvorschläge zum jetzigen Zeitpunkt wären verfrüht“ und eine Entscheidung „ins Blaue“ unverantwortlich.

Fazit: Die Lieferkette hat sich verheddert – in vielen guten Vorsätzen und Willensbekundungen. Ob und wie es zu einem Lieferkettengesetz kommt, ist derzeit noch fraglich.

Initiative Lieferkettengesetz

Die Initiative Lieferkettengesetz wurde im September 2019 ins Leben gerufen. Sie ist ein Zusammenschluss aus 18 Trägerorganisationen und 72 Unterstützer*innen, darunter auch FAIRstrickt Tübingen. Sie fordert ein Gesetz, das…

  • den Schutz von den Menschenrechten und der Umwelt in allen Produktionsprozessen gewähren soll.
  • Unternehmen, die in Deutschland geschäftstätig sind, betrifft.
  • zur Nachverfolgung der Produktionskette verpflichtet: mit der Analyse von allgemeinen Risiken und der Ermittlung von konkreten Gefahren.
  • die Unternehmen zur Haftung für Betroffene verpflichtet. Dafür muss eine Beschwerdestelle zur Verfügung stehen.
  • eine Klage nach dem deutschen Recht ermöglicht.

Um ein solches Gesetz endlich durchzusetzen, sammelt die Initiative Stimmen für eine Petition an die Bundeskanzlerin.

Zur Petition und zu weiteren Informationen gelangt ihr hier.