Jasmin Schmid
„I see it, I like it, I want it, I got it”? Das mag für Ariana Grande in ihrem Song „7 Rings“ gelten, allerdings nicht für den sogenannten Otto Normalverbraucher. Ein neues Produkt gelangt nämlich nicht wie durch Zauberhand in unsere Hände, sondern vielmehr infolge der Beantwortung einer Vielzahl von Fragen, allen voran: Wann betrachten wir etwas überhaupt als neu? So basieren unsere Konsumentscheidungen, wenn auch oftmals unbewusst, beispielsweise auf der je persönlichen Abwägung folgender Möglichkeiten: Neues kaufen, Gebrauchtes ersteigern oder mittels Upcycling/DIY selbst etwas Neues kreieren? Beim Billigdiscounter, Secondhandshop oder Fair Fashion-Label einkaufen? Hierfür die Filiale vor Ort oder den Onlinestore wählen? Materialien und Produktionsländer berücksichtigen? Darüber hinaus bewegen uns auch die Kosten, die wir für „neue“ Produkte ausgeben können oder möchten, tagtäglich zu einem jeweils mehr oder minder fairen Konsumverhalten. Da sich unsere Entscheidungen somit sowohl auf persönliche Präferenzen als auch auf unsere jeweiligen Gewohnheiten und Werte zurückführen lassen, erscheint es nicht verwunderlich, dass der Begriff „Konsum“ zunächst unmittelbar mit den privaten Bemühungen und persönlichen Lebensweisen der Zivilgesellschaft assoziiert wird.
Gemäß dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit hat die öffentliche Hand jedoch „deutschlandweit mit einem Volumen von rund 500 Milliarden Euro einen großen Anteil am Erwerb von Produkten und Dienstleistungen“, wobei es sich bei den Kommunen noch vor Bund und Ländern um die „mit Abstand […] größten öffentlichen Beschaffer von Waren und Dienstleistungen“ handelt. Öffentliche Beschaffung stellt also die andere Seite der Medaille dar – doch inwiefern erweist sie sich als fair? Ein Interview mit Jannika Franke, der Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik der Universitätsstadt Tübingen, bringt hier Licht ins Dunkel.
Jannika, was versteht man denn unter „fairer öffentlicher Beschaffung“?
Die faire öffentliche Beschaffung beschreibt eine Auftragsvergabe, bei der neben Preis und Qualität auch darauf geachtet wird, dass soziale Kriterien in der Herstellung von Waren entlang globaler Lieferketten eingehalten werden. Menschenrechtsverletzungen sind bei der Produktion von Waren leider weiterhin in vielen Ländern an der Tagesordnung. Mit der fairen öffentlichen Beschaffung sollen Menschenrechte geschützt und ein gerechter Welthandel gefördert werden.
Und was bedeutet „fair“ in diesem Kontext genau?
Das Wort „fair“ steht in diesem Zusammenhang für einen gerechten Welthandel, bei dem die Einhaltung von Menschenrechten und die Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette sichergestellt werden und eine Handelspartnerschaft gefördert wird, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht.
Welche Kriterien werden dafür herangezogen?
Zur Erreichung dieses Ziels werden in der fairen Beschaffung sogenannte „soziale Kriterien“ berücksichtigt. Als soziale Mindestanforderungen werden zumeist die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen darstellt und sich seit 1919 weltweit für die Rechte von Arbeitnehmer*innen einsetzt, gefordert. Aus diesen Kernarbeitsnormen lassen sich die vier Grundprinzipien ableiten: Keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, keine Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivversammlungen. Darüber hinaus gibt es weitere ILO-Normen, die beispielsweise auf Arbeitsschutz und Gesundheit, existenzsichernde Löhne und geregelte schriftliche Verträge Bezug nehmen. Die acht Kernarbeitsnormen beschreiben also soziale Mindeststandards für menschenwürdige Arbeitsbedingungen – Fairer Handel baut darauf auf und geht somit über die ILO-Standards hinaus.
Und wie wird faire öffentliche Beschaffung gesetzlich geregelt?
Seit der Vergaberechtreform im Jahr 2016 dürfen im Vergabeverfahren sogenannte „strategische Ziele“ berücksichtigt werden, worunter insbesondere soziale und ökologische Aspekte fallen. Hierdurch hat sich der Handlungsspielraum für öffentliche Auftraggebende deutlich erweitert, sodass soziale Kriterien nun entweder verpflichtend oder optional in Ausschreibungen aufgenommen werden können.
Könntest du beschreiben, wie die Berücksichtigung sozialer Kriterien im Beschaffungsprozess abläuft?
Im ersten Schritt ist die Notwendigkeit der Beschaffung zu klären. Man fragt sich: Wird das Produkt tatsächlich benötigt und gibt es, falls ja, Alternativen zur Neubeschaffung? Hierfür stellen sowohl die Reparatur eines vorhandenen Produkts als auch ein Tausch innerhalb der Stadtverwaltung Beispiele dar. Darüber hinaus wird der benötigte Umfang der Beschaffung festgelegt und es werden generelle Anforderungen an das Produkt, die sich auf dessen technische oder materielle Beschaffenheit beziehen, geklärt. In einem zweiten Schritt ist daraufhin zu prüfen, ob bei dem jeweiligen Produkt besonders auf soziale (und ökologische) Kriterien geachtet werden sollte und ob passende Angebote auf dem Markt verfügbar sind.
Das Verfahren, welches bei der Beschaffung Anwendung findet, richtet sich schließlich nach dem Auftragswert. Bei Liefer- und Dienstleistungen bis 1.000€ ist ein Direktkauf möglich, in dessen Rahmen fair gehandelte Produkte – vorausgesetzt, diese sind verfügbar – beispielsweise in Weltläden beschafft werden können. Dabei orientiert man sich an den Gütezeichen des Fairen Handels. Bei sogenannten „Verfahrensarten ohne Teilnahmewettbewerb“, zu welchen Aufträge von bis zu 100.000€ Auftragswert zählen können, lässt sich der Bieterkreis in Richtung fairer Beschaffung steuern: Firmen dürfen gezielt zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, wenn es für die jeweilige Produktgruppe ausreichend Firmen gibt, die ausschließlich faire Produkte anbieten. Bei „Verfahrensarten mit Teilnahmewettbewerb“ – wie etwa bei Aufträgen von bis zu 214.000€ Auftragswert und darüber hinaus – können soziale Nachhaltigkeitsaspekte in die Ausschreibungsunterlagen aufgenommen werden.
Haben faire Produkte und Dienstleistungen bei solchen Ausschreibungen denn überhaupt eine Chance?
Das hängt stark davon ab, ob es für den Auftragsgegenstand genügend Auswahl an fair gehandelten Produkten, zuverlässigen Gütezeichen und Bietern gibt. Bei vielen Textilprodukten ist das der Fall, sodass soziale Kriterien in einer Ausschreibung verpflichtend genannt werden können. Bei anderen Produkten sieht das anders aus und wenn bei diesen zu strenge soziale Kriterien in der Ausschreibung gefordert werden, kann es passieren, dass sich am Ende kein Bieter dafür findet. Daher ist es wichtig, im Vorfeld den Markt zu erkunden, und dann zu entscheiden, inwiefern soziale Kriterien miteinbezogen werden können. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, soziale Kriterien als Zuschlagskriterien optional zu fordern, und, wenn diese erfüllt werden, zusätzliche Punkte zu vergeben.
Und welche Rolle kommt der Zivilgesellschaft bei dieser Prozedur zu?
Die Zivilgesellschaft spielt eine entscheidende Rolle, weil sie dabei hilft, das Thema in den Fokus zu rücken und für den Fairen Handel zu werben. Das wird am FAIRstrickt-Bündnis deutlich, das sich aus der Zivilgesellschaft gebildet hat, durch Veranstaltungen sowie Aktionen immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten aufmerksam macht und sich für einen gerechten Welthandel einsetzt. Das Engagement der Zivilgesellschaft sensibilisiert für einen konsumkritischen Umgang und erhöht den Druck auf die öffentliche Beschaffung, Produkte fair einzukaufen. Außerdem hat sie mit dem Kauf fairer Produkte selbst einen Einfluss auf den Markt.
Ihr fragt euch, wie sich faire öffentliche Beschaffung in der Universitätsstadt Tübingen gestaltet? Dann dürft ihr auf unseren nächsten Artikel, der sich explizit mit der Tätigkeit von Jannika Franke als Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik in dieser Kommune befasst, gespannt sein!