Filmrezension – Der marktgerechte Mensch

Kim Ritter

Wir leben in einem Zeitalter, in dem der Arbeitsmarkt für viele Menschen mit großer Unsicherheit verbunden ist. Wie viel Lohn werden sie am Ende des Monats haben? Haben sie bis dahin überhaupt noch einen Job? Diese und viele weitere Fragen stellen sich viele, denn Arbeitsverhältnisse werden immer instabiler. Das zeigt die Dokumentation Der marktgerechte Mensch von Leslie Franke und Herdolor Lorenz sehr eindrücklich. Die im Januar 2020 erschienene Dokumentation rückt ins Licht, wie viele Menschen unter den marktorientierten Maßnahmen der Firmen leiden.

Einer von ihnen ist Lukasz. Er arbeitet als Freelancer für die Firma deliveroo und fährt mit dem Fahrrad Bestellungen aus. „Man jagt für die guten Schichten“, sagt er. Denn welche Schichten er bekommt, hängt von einem Algorithmus ab. Dieser erstellt anhand von Bewertungen eine Statistik. Ist er zu langsam oder fällt krankheitsbedingt ganz aus, kann dies weitreichende Folgen haben. Der Algorithmus teilt ihm dann häufig nur schlechtere Schichten zu und am Ende des Monats weiß Lukasz nie, wie viel Lohn er erhalten wird.

Als deliveroo sich im Juli 2019 aus Deutschland zurückzog, stand Lukasz innerhalb einer Woche ohne Lohn und ohne Job da.

Doch nicht nur Freiberufler*innen wie Lukasz kämpfen mit diesen unsicheren Arbeitsverhältnissen. Auch Verkäufer*innen in großen Modeunternehmen wissen häufig nicht, wie viel sie am Ende des Monats auf ihrem Konto haben. Sie werden mit sogenannten Flexverträgen auf Abruf bereitgehalten. Auch in bisher als sicher angesehenen Institutionen wie der Universität kämpfen viele mit viel zu geringen Gehältern. Einige wissenschaftliche Mitarbeiter*innen beziehen zusätzlich Hartz IV, da sie sich sonst nicht über Wasser halten können.

Die Dokumentation zeigt, dass der Mensch zu einem Produkt des Marktes wird: Es geht immer darum, flexibel einsetzbar und leistungsfähig zu sein. Darauf wurde schon 2017 in einem kreativen Protest in Hamburg aufmerksam gemacht. Einige Aufnahmen hiervon sind auch in der Dokumentation zu finden. Unter dem Titel „1000 Gestalten“ liefen hunderte in Lehm gehüllte Menschen wie Zombies durch die Stadt und kritisierten damit den G20-Gipfel. Denn wer nicht liefert, wird ausgetauscht.

Der daraus resultierende ständige Leistungswettkampf macht die Menschen krank. Hierfür trugen Spezialist*innen der Hirnforschung ihre Ergebnisse zusammen, die deutlich machten, welche Auswirkungen Stress auf den Körper hat. Außerdem wird auf dem Arbeitsmarkt Konkurrenz statt Kooperation großgeschrieben, wodurch auch unsere alltäglichen Beziehungen beeinflusst werden und der Mensch immer mehr vereinsamt.

Die Dokumentation ist sehr problemorientiert, bietet jedoch auch den Ausblick einer möglichen Alternative. Franke und Lorenz zeigen, dass es auch anders geht: Es gibt bereits Firmen, die gemeinwohlorientiert handeln und sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen.

Fazit

Die Dokumentation greift tiefgehende Probleme auf, deren Leidtragende wir auf kurz oder lang alle sind, wenn sich die Situation so weiterentwickelt. Es wird deutlich, dass sich die Probleme nicht nur auf ein Arbeitsfeld beziehen, sondern langfristig den gesamten Arbeitsmarkt untergraben. Arbeitnehmer*innen der verschiedensten Branchen werden ausgebeutet und mit ihren Unsicherheiten alleingelassen. Hier braucht es ein Umdenken und ich finde, dass die Dokumentation diesbezüglich einen spannenden Einblick bieten kann – sowohl in die Probleme, die sich hier immer weiter ausbilden, als auch in eine Alternative, für die man sich einsetzen kann. Dennoch müsste man meiner Meinung nach einen besseren Ausblick darüber bieten, was noch verändert werden kann, denn Fakt ist: Die meisten Firmen handeln weder nachhaltig noch gemeinwohlorientiert. Zudem zeigt die Dokumentation ganz deutlich, dass Arbeitnehmer*innen häufig mit unfairen und unsicheren Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben. Ich hätte mir gewünscht, dass hierfür mehr Lösungsansätze geboten werden. Dennoch lohnt es sich, die Dokumentation gesehen zu haben, um sich ein Bild über die Problematik machen zu können.

Beitragsbild: Markus Spiske