Ein Beitrag von Mara Mürlebach, FEMNET e.V., Ersterscheinung im Magazin „Kleine Kniffe“.
Extrem niedrige Löhne, befristete Verträge und die Unterdrückung von Gewerkschaften: Zwei neue Studien von FEMNET kritisieren prekäre Arbeitsverhältnisse in der Herstellung von Berufsbekleidung in Indien und Tunesien. Uniformen, Warnjacken und Sicherheitshosen sollen u.a. Beschäftigte in Deutschland schützen. Doch welchen Schutz erfahren die Personen, die diese Kleidungsstücke herstellen?
Katastrophale Arbeitsbedingungen
Berufsbekleidung spielt eine zentrale Rolle in der öffentlichen Beschaffung. Immer mehr Kommunen wollen Arbeits- und Sozialnormen in ihre Beschaffungspraxis integrieren. Aus gutem Grund: Die Arbeitsbedingungen in der Herstellung von Berufsbekleidung sind katastrophal. Im Auftrag von FEMNET recherchierten die indische Nichtregierungsorganisation CIVIDEP und die tunesische Arbeitsrechtsorganisation FTDES in insgesamt sieben Textilfabriken. Ergebnis: Die Arbeitsbedingungen in der Herstellung von Berufsbekleidung sind damit genauso katastrophal wie in vielen anderen Modebranchen.
Erzwungene Überstunden in indischen Betrieben
In Indien wurden die Zulieferbetriebe von BartelsRieger, Cerva und Olymp unter die Lupe genommen. Besonders frappierend: In diesen Fabriken arbeiten Angestellte unter Bedingungen, die von Zwangsarbeit im engeren Sinne nicht weit entfernt sind. Beschäftigte verdienen ein extrem niedriges Grundgehalt, das durch tägliche Überstunden aufgestockt werden muss. Diese Überstunden sind aber nicht freiwillig. Sie können nur unter dem Risiko abgelehnt werden, den Arbeitsplatz zu verlieren. Versuchen Angestellte gegen diese untragbaren Bedingungen vorzugehen, droht die Kündigung: Das Fabrikmanagement ging in allen untersuchten Betrieben aktiv gegen Gewerkschaften vor.
Hohe Jobunsicherheit in tunesischen Fabriken
Untragbar ist auch die Situation in den tunesischen Zulieferbetrieben von S-Gard, Havep und Alsico. Beschäftigte verdienen extrem niedrige Löhne, die weit unterhalb eines existenzsichernden Einkommens liegen. Und nicht nur das: Sie bekommen immer wieder kurzzeitig befristete Verträge, obwohl langjährigen Mitarbeitenden ein unbefristeter Vertrag gesetzlich zusteht. Möglich macht dies eine perfide Praktik: Fabriken werden von einem auf
den anderen Tag geschlossen und wieder neu eröffnet. Verträge verlieren ihre Gültigkeit; Beschäftigte werden oft zu schlechteren Bedingungen wieder neu eingestellt.
Die Berufsbekleidungsindustrie muss fairer werden
FEMNET fordert: Europäische Markenunternehmen müssen durch ein Lieferkettengesetz dazu verpflichtet werden, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Sie müssen ihre Zulieferbetriebe weltweit dazu anhalten, nationale wie internationale Arbeitsnormen einzuhalten. Dazu gehört: die Zahlung eines existenzsichernden Lohns, die Freiwilligkeit von Überstunden sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Die faire Beschaffung kann dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen: zum einen durch eine konsequent faire Beschaffungspraxis; zum anderen durch die deutliche, proaktive Forderung an Berufsbekleidungsunternehmen, Arbeitsnormen einzuhalten.
Bildnachweis: FEMNET (c)
Weiterführende Informationen:
Faire Beschaffung für die öffentliche Hand – FEMNET – Frauen in der Bekleidungsindustrie
Die Studien zu Indien und Tunesien (auf Englisch) und die Kurzfassungen (auf Deutsch) kann man hier abrufen. Bitte dafür ein wenig runterscrollen.