Mode mal anders – Lederimitate aus kuriosen Materialien: Veganes Kaktusleder und seine Vor- & Nachteile

Jasmin Schmid

Alle kennen ihn, viele lieben ihn – den Kaktus. Aufgrund seiner unzähligen Formen, Größen und Farben passt er zu jeder Einrichtung und ist möglicherweise sogar die einzige Pflanze, die man in eurem ganz privaten Reich oder an eurem Arbeitsplatz vorfindet. Kein Wunder, denn Kakteen stellen vor allem für Vielbeschäftigte oder Menschen ohne grünen Daumen das ideale Wohnaccessoire dar: Sie bringen Farbe in geschlossene Räume, geben Sauerstoff ab und überzeugen durch Pflegeleichtigkeit. Kakteen verzeihen es euch nämlich, wenn ihr sie nur sehr selten gießt – sie bestehen sogar darauf! Dass eine unvorsichtige Berührung mit dem stacheligen Wüstengewächs kurzzeitig schmerzen kann, nimmt man dafür doch gerne in Kauf, oder?

Aus seinem Dasein als Pflanze, die ausschließlich fest in der Erde verwurzelt vorzufinden ist, hat sich der Kaktus jedoch inzwischen befreit. Heutzutage schmückt er neben Wüsten, Büros und eurem Zuhause auch Autos und sogar euch selbst – in Form von veganem Kaktusleder. Denn: Immer mehr Menschen setzen auf vegane Produkte. Diese stellen demnach mittlerweile keine Nische mehr dar, sondern haben sich zu einem Trend entwickelt, der längst über die Bereiche Ernährung, Kosmetik und Haushalt hinausreicht. So sind diesbezüglich auch Veränderungen in der Textilbranche zu verzeichnen: Es kommen beispielsweise vermehrt vegane Lederimitate auf den Markt, die nicht nur eine gute Alternative zu Tierleder darstellen, sondern in puncto Nachhaltigkeit auch Kunstleder in den Schatten stellen. Ihr fragt euch, welche Vor- und Nachteile Kaktusleder im Vergleich zu tierischem Leder sowie anderen Lederimitaten aufweist, wie es hergestellt wird und schlussendlich aussieht? All das erfahrt ihr in diesem Artikel!


Leder – schlecht für Tier, Mensch und Umwelt

Dass Leder von Tieren stammt, ist allgemein bekannt. Dass es sich dabei nicht um ein Abfallprodukt, sondern vielmehr um „das wirtschaftlich wichtigste Nebenprodukt der Fleischindustrie“ handelt, laut PETA ZWEI jedoch leider nicht. China, ein Land ohne nationales Tierschutzgesetz, produziert dabei die meisten auf dem Weltmarkt kursierenden Leder: Neben Kühen, Ziegen und Pferden lassen auch Katzen und Hunde dort ihr Leben, um Menschen beispielsweise als Geldbeutel oder Handtasche zu dienen. Dass laut PETA „jährlich mehr als eine Milliarde Tiere“ zu diesem vermeintlichen Zweck getötet werden, wäre bereits grausam genug, doch gestaltet sich auch der Sterbeprozess für viele der fühlenden Tiere überaus qualvoll: Während sie oftmals „noch bei vollem Bewusstsein“ sind, wird ihnen „die Haut vom Leib geschnitten“.

Der Verzicht auf tierisches Leder kommt jedoch nicht nur den betreffenden Tierarten selbst zugute, sondern darüber hinaus auch Mensch und Umwelt. Um Leder haltbar zu machen, werden nämlich verschiedenste toxische Chemikalien verwendet – und damit kommen, so PETA ZWEI, nicht nur Menschen in Kontakt, die das fertige Leder tragen, sondern auch bereits die Arbeiter*innen in den Gerbereien. Zudem erkranken Personen, die in unmittelbarer Nähe der Gerbereien leben, auffällig oft an Krebs, da die Gifte auch in das Grundwasser gelangen. Tierleder ist somit in hohem Maße gesundheits- sowie umweltschädlich – und der Griff zu Alternativen unabdingbar.

Lederimitate – mit Vorsicht zu konsumieren

Verzichtet ihr auf Tierleder und greift stattdessen zu einer Alternative, ist Tieren damit in jedem Fall geholfen. Ob ihr damit jedoch auch der Umwelt helft, hängt allein davon ab, auf welchen Lederersatz eure Wahl fällt. So birgt Kunstleder den Nachteil, auf Erdöl zu basieren – sowohl bei seiner Herstellung als auch seiner Entsorgung gelangen schädliche Stoffe in die Umwelt. Zudem büßt die künstliche Alternative gegenüber dem tierischen Leder an Atmungsaktivität ein, was an regnerischen Tagen jedoch wiederum von Vorteil sein kann.

Doch auch vegane Alternativen stellen keine ausnahmslos nachhaltige Wahl dar – oftmals werden auch bei ihrer Herstellung Trägermaterialien aus Kunststoff verwendet. Einige vegane Lederimitate vermögen jedoch sowohl einen Beitrag gegen Tierquälerei als auch gegen Umweltverschmutzung zu leisten – darunter das brandneue Kakteenleder.

Kaktusleder – eine nachhaltige Wahl

Neue Produkte fallen nicht einfach vom Himmel. Sie müssen zunächst einmal ausgetüftelt werden, was Adrián López Velarde und Marte Cázarez im Falle des Kaktusleders in die Wege leiteten: Die Gründer des mexikanischen Start-Ups Desserto hatten es sich zum Ziel gesetzt, ein rein pflanzliches Lederimitat zu entwickeln.

Foto: Desserto

Foto: Desserto

Diesbezüglich entschieden sie sich für den Nopal-Kaktus, der in Mexiko zahlreich vertreten ist und das Land daher symbolisch repräsentiert. Auch ist der Kaktus bereits Bestandteil der mexikanischen Küche sowie in Mexiko hergestellter Hautpflegeprodukte – ausgerechnet den Nopal-Kaktus als Basis der veganen Lederalternative zu verwenden, lag somit nahe. Nach zwei Jahren Forschung und Entwicklung konnte das Kakteenleder schließlich fertiggestellt und im vergangenen Oktober auf der internationalen Ledermesse Lineapelle in Mailand vorgestellt werden. Doch auf welche Herstellungsweise einigten sich die Entwickler letztendlich, um das vom Tier stammende Leder möglichst authentisch zu imitieren?

Zur Herstellung des nachhaltigen Lederimitats werden zunächst die sogenannten Nopalfasern aus der Kaktusrinde gewonnen. Kombiniert mit der schleimigen Pflanzencellulose des Nopal-Kaktus sowie mit Epoxidharz lässt sich ein harter Verbundwerkstoff herstellen, welcher letztendlich auf das aus Bio-Baumwolle bestehende Trägermaterial aufgetragen wird. Und welche Vorteile birgt dieses aufwändige Verfahren?

Foto: Desserto

Im Gegensatz zu Kunstleder erweist sich das Kakteenleder als atmungsaktiver Lederersatz, der darüber hinaus überaus widerstandsfähig, flexibel und zum Teil biologisch abbaubar ist. Auch wird ihm eine höhere Langlebigkeit als dem künstlichen Leder nachgesagt – man prophezeit eine Haltbarkeit von bis zu zehn Jahren. Dem Tierleder aufgrund seiner Haptik, Flexibilität und Weichheit unglaublich ähnlich, handelt es sich beim Kaktusleder sogar um ein Lederimitat, für welches ein Experte von Lineapelle die Verwendung im Luxussegment vorhersieht. Doch handelt es sich hierbei wirklich um die nachhaltigste Wahl?

Die Devise lautet: sorgfältig abwägen

Zwar benötigt der Nopal-Kaktus wenig Wasser, um wachsen und überleben zu können, und erscheint somit auf den ersten Blick sogar besonders nachhaltig. Das Kaktusleder weist jedoch – in Abhängigkeit eurer persönlichen Definition von “Nachhaltigkeit” – gegebenenfalls einen Nachteil gegenüber anderen nachhaltigen Lederimitaten auf. Dies wird ersichtlich, vergleicht man den Herstellungsprozess des Kakteenleders beispielsweise mit jenem des Apfel- oder Ananasleders: Bei letzteren wird auf Überreste, die aus der Weiterverarbeitung beziehungsweise Ernte des Obstes hervorgehen, zurückgegriffen. Sowohl das Apfel- als auch das Ananasleder erweisen sich somit als rundum nachhaltiger Lederersatz (Interessant? Hier erfahrt ihr mehr über Apfel- und Ananasleder). Dagegen stellt Kaktusleder kein aus Resten gewonnenes Material dar, sondern erfordert im Rahmen seines Herstellungsprozesses, die reifen Kaktusblätter abzutrennen – was jedoch vorsichtig erfolge, um den Nopal-Kakteen selbst nicht zu schaden.

Ob das Kaktusleder in Bezug auf seine Nachhaltigkeit mit anderen veganen Lederimitaten mithalten kann, liegt also im Auge der Betrachter*innen. Fest steht jedoch, dass ihr in Zukunft noch öfter darauf stoßen und dann in der Lage sein werdet, kritisch und nach euren eigenen Bedürfnissen abzuwägen, ob es wirklich das „Luxus-Lederimitat“ Kaktusleder sein muss oder ob nicht bereits eine der vielen anderen nachhaltigen – und dazu oft günstigeren – Lederalternativen euren Ansprüchen genügen würde.

Quellen: