von Lutz Baltruweit
Ananas auf der Pizza – der Trend ist mir bekannt. Aber Ananas in Schuh, Tasche, oder Sofa, das macht Lust auf mehr! In den 1990er kehrte die spanische Designerin Dr. Carmen Hijosa der Tierlederproduktion den Rücken zu. Sie entschloss sich ein lederähnliches, aber menschenfreundlicheres, tierleidfreies und nachhaltiges Material aus Ananasblättern zu entwickeln: Es trägt den Namen Piñatex.
Ananasleder wird aus den, von der Ananasernte übrig gebliebenen, Ananasblättern gewonnen. Es ist ein ressourcenschonendes Nebenprodukt und funktioniert innerhalb der Cradle-to-Cradle-Kreislaufwirtschaft. Zuerst werden auf den philippinischen Plantagen die Blätter gesammelt und zusammengebunden, dann die langen Fasern mit einer halbautomatischen Maschine aus dem Blatt gezogen. Dabei wird das Molekül Pektin aus den Blättern entfernt. Denn Pektin ist ein Steifmacher, somit sind die Cellulosefasern der Ananasblätter ohne das Molekül weicher und flexibler. Um jegliche Verunreinigungen des flaumigen Materials zu verhindern, müssen die Fasern noch gewaschen und danach zum Trocknen in der Sonne aufgehängt werden. Es ähnelt einer großen, grünen Wäsche, wie die langen Fasern in der Sonne ganz ohne Wäscheklammern von den gespannten Wäscheleinen hinunterhängen.
Diese getrocknete Wäsche heißt im Fachjargon PALF (pineapple leaf fibre). Sie wird nun in einem mechanischen Prozess mit einer maisbasierten Polymilchsäure gemischt, um sogenanntes Piñafelt (Ananasfilz) zu entwickeln. Dieses weiße, nicht gewebte Geflecht ist die Basis aller Piñatex-Produkte. Es wird nun in langen Rollen mit dem Boot nach Barcelona geliefert. Für den letzten stilistischen Feinschliff werden die Piñafelt-Rollen auf eine Maschine montiert und mit einer GOTS-zertifizierten Pigmentschicht in der präferierten Farbe gefärbt. Zudem kommt für die Haltbarkeit eine Harzbeschichtung zusätzlich oben drauf. So wird das Material wasserfester und stabil wie Leder.
Kostenfaktor Ananas
Ananasleder erinnert an Glattleder, ist aber günstiger und umweltfreundlicher als Tierleder. Während Tierleder 27 bis 40 Euro pro Quadratmeter kostet, bietet Hijosas B Corporation Ananas Anam Piñatex für 24 Euro an. Zudem sichern sie den Bauern eine neue Einkommensquelle. Ananasblätter sind nämlich an sich Abfallprodukte der Plantage, so wie Tierhaut für die Fleischindustrie.
Der Kreislauf von Piñatex
Für Piñatex muss kein neues Feld für die Produktion angebaut werden. Viel eher nutzt Ananas Anam die große Marktnachfrage für Ananas zum Verzehr. Pro Jahr werden um die 25 Millionen Tonnen ( https://sz-magazin.sueddeutsche.de/wissen/pina-co-leder-86426 ) Ananas für die Welt geerntet, davon hauptsächlich auf den Philippinen. Die Piñatex-Herstellung nutzt die natürlichen Abfälle der Pflanze und muss dabei keine Pestizide, Düngemittel, oder zusätzliches Wasser verbrauchen. Was üblicherweise nach der Ernte weggeschmissen wurde, kann jetzt für die Faser-Extraktion weiterverwendet werden. Die Reste, die hierbei anfallen, ist Biomasse, die sich wunderbar als Dünger oder Biogas eignet. Bis zu diesem Schritt ist Piñatex komplett kompostierbar. Hijosas Ziel ist es, dass alle Piñatex-Endprodukte schließlich durch kontrollierten Abbau und das Recycling von zerkleinerten Fasern den Kreis schließen. Damit könnte Piñatex ein komplett abfallfreies Lederimitat sein.
Hijosas Erfindung gewinnt in der Modebranche immer mehr an Bedeutung. Piñatex tritt schon jetzt bei zahlreichen Unternehmen und Events in Erscheinung: Hugo Boss, H&M, Puma, Camper, NAE Vegan, Ina Koelln Taschen, und auf der Berliner Mercedes Benz Fashion Week 2017 und 2018. Sie beweist der Lederindustrie, dass modern auch anders geht. Da stellt sich die Frage, wie lang sich das Enthäuten von Tieren für die Bekleidung von Menschen noch in irgendeiner Weise lohnt – und wer das noch in Kauf nehmen möchte.
Habt ihr Lust auf mehr kuriose Materialien? Dann schaut euch doch mal Alenas Artikel über Hanffasern an!