Vom Schaf zur Socke – regionale Wolle

ArcheSchäferei · 72770 Reutlingen – Bronnweiler · E-Mail: info@arche-alb.de

Website: http://www.arche-alb.de

von Alena Waiz

Heutzutage trifft man kaum auf Menschen wie Barbara: Sie züchtet seltene heimische Schafrassen und lässt die Wolle zu unterschiedlichen Produkten, zum Großteil in ihren natürlich gewachsenen Farben, verarbeiten. Ihre gehaltenen Landschafrassen, wie Waldschaf und Steinschaf, haben eine Vielfalt an Wolle anzubieten und sind von Natur aus „bunt“. „Bei der Schur ergeben sich unterschiedliche Farbnuancen des Fells. Diese Naturfarbenvielfalt ist jedoch bei der Wollindustrie nicht erwünscht. Beim kunsthandwerklich interessierten Publikum ist sie aber sehr begehrt, da solche Rohstoffe kaum mehr erhältlich sind“, erklärt Barbara. Damit die Rassen nicht aussterben und der Rohstoff Wolle in seiner ursprünglichen Form erhalten bleibt, braucht es engagierte Schaffans wie Barbara, die die alten Rassen erhält, züchtet und rund ums Jahr versorgt. In einem Interview* gibt Barbara Zeppenfeld Einblicke in ihre Arbeit und erklärt die Besonderheiten ihrer Schafe und deren Wolle.

Könntest du dich einmal vorstellen?

Ich bin Barbara Zeppenfeld und leite seit 15 Jahren die ArcheSchäferei in Reutlingen-Bronnweiler. In meiner Jugend hat sich mein Interesse für Landwirtschaft ausgeprägt, weswegen ich eine Gärtnerlehre absolviert habe. Später habe ich Erziehungswissenschaften in Tübingen studiert und als freie Pädagogin in der Jugendbildung für Medien- und Musikpädagogik gearbeitet.

Was hat dich dazu inspiriert, die ArcheSchäferei zu gründen?

Die biologischen und ökologischen Grundlagen fand ich schon in meiner Schulzeit spannend. Biologie ist die Kunde vom Leben. Ohne eine Ahnung vom Leben können wir uns auch nicht richtig verhalten. Viele Menschen verhalten sich ökologisch unsinnig und die Industrie sieht es schon gar nicht ein, sinnvoll und nachhaltig zu handeln. Ich bin keine Wirtschaftsschäferin – es ist mehr ein Lebenskunstprojekt. Viele Menschen sind sehr berührt, wenn sie hierherkommen und die Tiere kennenlernen und nicht nur das fertige Produkt.

Was bietest du in der ArcheSchäferei an?

Die ArcheSchäferei steht für die Erhaltung der Tiere an sich und die dazugehörige Vielfalt. Außerdem biete ich viele pädagogische Angebote wie Schulprojekte, Kindergeburtstage, Streuobstpädagogik oder auch Schafwanderungen für die ganze Familie an. Mit den Kindern lernt man viele natürliche Prozesse wie „vom Schaf zur Socke“ kennen, in denen sie Schritt für Schritt an das Thema Wollverarbeitung herangeführt werden und selbst ausprobieren dürfen. Außerdem kann man in der ArcheSchäferei Schafpatenschaften abschließen. (Hier gibt es ein Youtube-Video zum Thema.)

Welche und wie viele Schafe besitzt du?

Ich habe ca. 70 Mutterschafe. Unterschiedliche Schafrassen bieten unterschiedliche Wolle in unterschiedlichen Qualitäten und Farben. Hauptsächlich halte ich Waldschafe und Krainer Steinschafe, jedoch will die wollverarbeitende Industrie keine dunkle Wolle. Die Modeindustrie möchte immer Kleidungsstücke in reproduzierbaren und einheitlichen Farbtönen, egal ob Naturfasern oder Mischgewebe. Wolle bleicht jedoch im UV-Licht aus und die Farbe ist nicht immer die gleiche. So kann es auch sein, dass im darauffolgenden Jahr die gleiche Wolle eine andere Farbnuance hat.

Auf deiner Website entdeckt man recht schnell, dass du auch mit Wolle arbeitest. Welche Produkte lässt du aus Wolle herstellen?

Wichtig zu unterscheiden ist dabei, dass es eine professionelle Wollverarbeitung in Manufakturen gibt, aus denen Waren hervorgehen, die dann von mir verkauft werden und eine pädagogische Wollverarbeitung, bei der die Wolle als Arbeitsmaterial für Kurse für Kinder dient. Der Rohstoff für die Produktion kommt dabei von meinen Schafen. Zu den Produkten, die ich verkaufe, gehören unter anderem Kleidungsstücke, Teppiche, Sitzkissen, Strickwolle, Filze, aber auch Gartendünger aus 100 % Wolle.

Weste aus Pommernschaf, Sitzkissen und Filzeinlegesohlen

Welche Vorteile hat Schafwolle?

Wolle ist antistatisch, schwer entflammbar, 100 % recyclebar und erneuerbar, da sie jedes Jahr nachwächst. Mit der Schur tut man auch dem Schaf etwas Gutes. Außerdem kann man daraus viele verschiedene Produkte herstellen. Die Herstellung selber ist eigentlich völlig unkompliziert und benötigt kaum Chemie (nur Wollwaschmittel und Seife) – alles andere funktioniert rein mechanisch!

Ist es von Vorteil, dass die Wolle so lang wie möglich am Schaf wächst?

Nicht unbedingt – für die Schafe ist das gut, für die Verarbeitungen mit Maschinen eher weniger. Es gibt Spinnereien, die sagen, dass sie die Wolle nicht verarbeiten können, wenn ich meine Schafe nur einmal im Jahr schere. Die 20 cm lange Wolle verwickelt sich dann. Ich kenne bisher nur eine Spinnerei, die meine Waldschafwolle verarbeiten möchte – alle anderen wollen sie mit einem anderen Material mischen oder verlangen, dass ich meine Schafe zweimal jährlich scheren soll, was für mich unmöglich ist.

Welcher Teil der Wolle wird weiterverarbeitet?

Ich lasse die komplette Wolle verarbeiten. Nach der Schur werden der grobe Dreck und das Verfilzte aussortiert. Mit dem Aussortierten kann man dann entweder experimentieren und Filze herstellen oder es für die Herstellung von Gartendünger verwenden. Bei der Verarbeitung für Strickwolle muss man zum Beispiel darauf achten, dass man weichere Wolle nimmt oder Wolle von Jungtieren.

Wie geht es dann mit der Verarbeitung weiter?

Nach der Schur wird die Wolle nach Rasse und Farbe sortiert. So kann in jedem fertigen Produkt die Herkunft der Wolle und die Schafrasse eindeutig bestimmt werden.

Die Wolle wird dann in Wollsäcke gestopft und in die Wollwäscherei nach Österreich transportiert. Dort wird der Großteil des Lanolins (Fett in der Wolle der Schafe) aus dem Fell rausgewaschen. Ein kleiner Rest verbleibt in der Wolle, damit die Geschmeidigkeit erhalten bleibt. Dann wird die Wolle, je nach Verarbeitungswunsch, an unterschiedliche Orte transportiert.

Wo lässt du welche Produkte fertigen?

Wolle mit Naturfarben gefäbrt:
In der Mitte Pomernwolle, mit Indigo gefärbt erzeugt es einen einzigartigen Farbverlauf

Die Wolle wird in Deutschland und in Österreich verarbeitet. Ein Großteil der Wald- und Steinschafwolle wird zu Sitzkissen und Teppichen gewebt. Ein Teil wird gefilzt. Die feinere Wolle wird zu Strickwolle gesponnen und im Anschluss von mir selbst mit natürlichen Farben gefärbt. Die Naturfarben verbinden sich wunderschön mit den Grundfarben der Rohwolle und erzeugen dabei ein einzigartiges Farbenspiel, das von keiner industriell hergestellten Farbe erreicht werden kann.

Ab und zu entstehen Unikate und Kleinserien in Zusammenarbeit mit anderen Wollkünstler*innen.

©ArcheSchäferei design-label “szenario” – Hüte aus regionaler Wolle, Birgit Sophie Metzger zu Besuch in der ArcheSchäferei, Foto: Eric Danzinger

Gemeinsam mit Christiane Ludwig-Wolf haben wir unsere Nomadenteppiche für das Jurtenprojekt gefilzt. Tiina Kirsi Kern hat Stoffe aus Waldschaf- und Bergschafgarn auf dem historischen Handwebstuhl gewoben, zu Kissen genäht und wunderbar verziert. Aktuell arbeiten wir mit der Hutmacherin und Designerin Birgit Sophie Metzger zusammen, die individuelle Hüte aus regionaler Wolle herstellt („szenario“ siehe Foto).

Welche Produkte sind am beliebtesten und wo verkaufst du sie?

Produkte seltener heimischer Schafrassen sind in normalen Läden nicht zu bekommen. Da es nur noch wenige dieser Tiere gibt, gibt es dementsprechend auch wenige fertige Produkte aus ihrer Wolle. Alle Projekte, die mit Wolle seltener heimischer Schafrassen arbeiten, vermarkten ihre Waren direkt. Die ArcheSchäferei hat keinen eigenen Laden. Einige Produkte sind im Biosphärenzentrum Schwäbische Alb erhältlich. Ansonsten findet man uns auf Regionalmärkten. Dort stelle ich die Produkte mit den Informationen zur jeweiligen Schafrasse vor. Dadurch erkennen Kund*innen die Vielfalt unserer heimischen und seltenen Landschafrassen. Außerdem kann man Vorbestellungen angeben oder Produkte persönlich abholen.

Da wir direkt vom Schaf arbeiten, können wir nicht nur fertige Produkte, sondern auch die verschiedenen Verarbeitungsstufen der Wolle anbieten. Das ist für kreative Selbermacher*innen sehr spannend und attraktiv. Kunsthandwerker*innen kaufen gerne Flocke zum Befüllen von Puppen, Tieren oder Kissen, sowie kardierte (= gewaschene und gekämmte) Wolle für Filzexperimente. Handspinner*innen finden bei uns kardierte Wolle verschiedener Schafrassen für selbstgesponnene Naturgarne. Naturfarbene und pflanzengefärbte Strickwolle wird auch oft nachgefragt. Und dann gibt es noch die gefertigten Produkte wie Socken, handgewebte Teppiche und Sitzkissen.

Wie setzen sich die Preise für deine Produkte zusammen?

Heimische Wollwaren sind generell teurer als Importware. Wir haben höhere Ansprüche an die Tierhaltung, eine ökologisch verträglichere Verarbeitung sowie höhere Lohnkosten. Ich kenne die Manufakturen und ihre Besitzer persönlich. Über die Verarbeitungspreise verhandle ich nicht, weil ich froh bin, dass wir diese Betriebe überhaupt noch hier haben. Alles was abwandert, ist weg. Nicht nur die Tiere stehen auf der „Roten Liste“ auch die heimische Textil- und Wollverarbeitung muss man schon fast unter „Artenschutz“ stellen. Denn wenn dort nicht mehr gearbeitet werden kann, können wir auch unsere heimische Wolle nicht mehr verarbeiten lassen. Das wäre fatal. Regionale Wolle ist ein wunderbarer, nachhaltiger und regenerativer Rohstoff. Und mit kleinen Manufakturen können wir individuelle Produkte aus seltenen heimischen Rohstoffen herstellen lassen.

Welche Herausforderungen sind mit der Wollverarbeitung verbunden?

Wenn man so wenig Tiere wie ich besitzt, dann hat man auch sehr geringe Wollmengen zur Verarbeitung. Die Produktionsmöglichkeiten schränken sich dadurch noch einmal ein und die Qualitäten entsprechen nicht den Vorstellungen der Industrie. Die Wolle wird immer noch mit Maschinen verarbeitet, die 80 bis 100 Jahre alt sind und diese existieren heutzutage nur noch in einer geringeren Anzahl oder wurden ins Ausland ausgelagert.

Eine andere Herausforderung ist, dass die Nutztierrassenvielfalt extrem bedroht ist. In den Läden wird nämlich fast ausschließlich Feinstwolle der Merino-Schafe (deren Haltung nicht umsonst kritisiert wird) aus Übersee angeboten wird. Diese Übersee-Merinowolle ist wunderbar für Wollunterwäsche und feine Pullover, die direkt auf der Haut getragen werden. Für Wandersocken, Filzeinlegesohlen, Sitzkissen und Teppiche braucht man aber keine superfeine Wolle. Im Gegenteil: Heimische robustere Rohstoffe sind ideal. Nur mit der Aufwertung und Nutzung heimischer Wolle und deren vierbeinigen Produzent*innen sind heimische Kreisläufe aufzubauen beziehungsweise zu erhalten.

Was findest du besonders faszinierend an Schafen und deren Wolle?

Schafe haben ein langes Leben und handeln ökologisch: Sie erhalten die eigene Art und vermeiden damit das Aussterben ihrer Rasse. Außerdem sind sie in einen ökologischen Kreislauf eingebunden. Sie leben frei auf der Wiese gemeinsam mit anderen Tieren und Insekten und versorgen den Boden nebenbei mit Nährstoffen. Das bildet einen Naturkreislauf. Bei der Wolle ist es genauso: Sie wird geschoren, verarbeitet und verwendet. Sobald die Produkte nicht mehr benutzt werden, können sie wieder vollständig kompostiert werden, sofern man die Wolle nicht mit anderen Fasern vermischt. Und aus der kompostierten Erde kann wieder etwas Neues entstehen. Das macht es zu einem super nachhaltigen Textil.


*Das Interview wurde am 29.06.2020 vor Ort geführt und aufgezeichnet. Für die Transkription wurde im Hinblick auf diesen Blogartikel eine leserfreundliche Form gewählt.

Titelbild: © ArcheSchäferei Foto: Andrea Lamparter

Alle weiteren unbeschrifteten Fotos von Alena Waiz.