Nathalie Waldenspuhl
Gendergerechtigkeit in globalen Lieferketten?
Über 75 Prozent der Befragten Arbeiter*innen einer bangladeschischen Textilfabrik fühlen sich bei ihrer Arbeit regelmäßig sexuell belästigt – so lautet das traurige Fazit einer Studie, die die Frauenrechtsorganisation FEMNET und das Bangladesh Center for Workers Solidarity zum vergangenen Weltfrauentag veröffentlichten. Es ist nicht weit her mit den Frauenrechten in globalen Produktionsprozessen. Weltweit werden Frauen und Mädchen Opfer von geschlechtsspezifischer Marginalisierung. Im Juli 2020 erschien von Seiten des Global Policy Forum Europe und der Rosa Luxemburg Stiftung das Positionspapier Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten. Es zeigt die bestehenden Diskriminierungen in weltweiten Produktionsstätten verschiedenster Industrien und fordert sowohl politische als auch wirtschaftliche Akteure zur Bekämpfung derselben auf. Karolin Seitz ist eine der AutorInnen des Papiers. Im Webseminar stellte sie die wichtigsten Aspekte vor.
Kern des Positionspapiers ist die Forderung nach einem Lieferkettengesetz, das eine geschlechterspezifische Sorgfaltspflicht beinhaltet. Unternehmen sollen sich demnach in ihrer Satzung zur UN-Frauenrechtskonvention bekennen, eine spezifische Identifizierung von Risiken für geschlechtsspezifische Gewalt und Unterdrückung vornehmen und anschließend gezielte Prävention leisten. Mit dem Lieferkettengesetz gefordert wird auch ein Beschwerdemechanismus, an den Betroffene sich bei Verletzungen von Menschen- oder Arbeitsrechten wenden können. Damit einher geht auch das Verlangen nach Aufklärung: Viele Arbeiterinnen kennen ihre Rechte nicht, schuld daran sind sprachliche Barrieren und Analphabetismus. Durch das Erheben von geschlechtsspezifischen Daten ließe sich die Wirksamkeit der Maßnahmen nachverfolgen. Auch die Bundesregierung wird in dem Papier zum Handeln für globale Geschlechtergerechtigkeit aufgerufen. Das Positionspapier in seiner ganzen Ausführung ist im Internet frei verfügbar, hier ist es verlinkt.
Diskriminierung auf den Plantagen Kolumbiens
Aus Kolumbien zugeschaltet war Adela Torres. Sie ist die Generalsekretärin von Sintrainagro, der nationalen Gewerkschaft der Landarbeiter*innen Kolumbiens. Torres ist in ihrer Verwaltungsposition fast ausschließlich von Männern umgeben – patriarchale Strukturen kennt sie in ihrem Heimatland zur Genüge. Neben ihr gibt es aber noch zahlreiche weitere Frauen, die in der kolumbianischen Wirtschaft Diskriminierung erfahren. Von etwa 33.000 Frauen, die von landwirtschaftlichen Erzeugnissen leben, sind nur etwa 2.000 Mitglied in der Gewerkschaft. Am Beispiel des kolumbianischen Bananenanbaus zeigt Torres die Probleme auf, denen die Frauen im gegenwärtigen Wirtschaftssystem ausgesetzt sind. Gleichzeitig verweist sie auf Meilensteine, die Sintrainagro bereits zur Emanzipation der Geschlechter erreicht hat.
Kolumbiens größte Exportgüter waren im Jahr 2018 Mineralprodukte wie Erdöl, Kohle oder Koks. Dicht darauf folgten landwirtschaftliche Erzeugnisse. Neben Kaffee und Schnittblumen machte der Bananenexport hier 20% der exportierten Agrarprodukte aus. Der Bananenanbau ist daher ein wichtiger Wirtschaftszweig im Land. Nähere Informationen über die Bananenproduktion in Lateinamerika findet ihr in diesem Positionspapier, das im Jahr 2012 in Kooperation zwischen der SÜDWIND e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene und dem bischöflichen Hilfswerk MISEREOR e.V. entstanden ist.
Im Jahr 2012 waren mehr als 22.000 Kolumbianer*innen in der Bananenbranche beschäftigt. Darunter auch viele Frauen, die mit Benachteiligungen zu kämpfen haben. Eine fehlende Sozialpolitik macht es ihnen besonders schwer, Familie und Erwerb miteinander zu vereinen. Bemerkbar macht sich das bereits bei ungeborenem Leben – schwangeren Frauen wird oft kein Schwangerschaftsurlaub gewährt. Die werdenden Mütter sind bis zu wenige Tage vor der Geburt schwerer körperlicher Belastung ausgesetzt. Ist das Kind auf der Welt, hat es keinen Anspruch auf ein Betreuungsangebot. Den sozialen Konventionen folgend, sind in Kolumbien meistens Frauen verantwortlich für die Betreuung und Pflege von Angehörigen, so genannte Sorgearbeit. Seitens der Arbeitgeber erhalten Frauen hierfür weder eine Freistellung noch eine Entlohnung. Die klassische Rollenverteilung durch konservative Rollenbilder bringen Frauen also bereits einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil. Eine Existenzsicherung ist kaum möglich.
Ein weiteres Problem bildet die strukturelle Diskriminierung, die Frauen in Kolumbien trifft. Oft werden weibliche Arbeitskräfte gar nicht eingestellt. Wenn doch, sind die Anstellungen häufig prekär, Frauen haben einen geringeren Kündigungsschutz als Männer. Aus Angst vor einer Entlassung lassen sie daher viele Unzulässigkeiten über sich ergehen: Sexueller Missbrauch oder körperliche Überarbeitungen gehören zum Alltag der Arbeiterinnen. Ein Beispiel hierfür liefert Karolin Seitz aus dem Wein- und Zitrusanbau: Wenn ein Feld frisch gedüngt wird, setzen sich die Arbeitenden ungerne der chemischen Belastung durch den Dünger aus. Weigert sich ein männlicher Arbeiter, das Feld zu betreten, so werden Frauen zur gefährlichen Arbeit genötigt.
Der Kampf einer Gewerkschaft
Als nationale Gewerkschaft setzt sich Sintrainagro auch für die Belange der Arbeiterinnen ein. Sie setzt sich mit lokalen Bananenproduzent*innen in Verbindung und fordert in Tarifverhandlungen zur Gleichberechtigung auf. Die Unternehmen sollen in Zukunft vermehrt Frauen einstellen und dabei eine sichere Stelle mit Kündigungsschutz bieten. Hierzu gehört auch eine bessere Ausbildung, denn noch arbeiten die meisten Frauen auf dem Feld. Auf der Verwaltungsebene herrschen noch immer die Männer. Dabei hat Sintrainagro schon Erfolge zu verbuchen: Sämtliche Unternehmen haben mittlerweile einen Posten eingerichtet, der für die Frauensituation in den eigenen Reihen verantwortlich ist. Torres gibt auch einen Ausblick in die Zukunft: Möglicherweise wird es in einigen Jahren ein Siegel geben, das die Genderverantwortung eines Unternehmens attestiert. Weiter bleibt es eine stetige Aufgabe von Sintrainagro, sich im Alltag noch gezielter an Frauen zu wenden. Das weibliche Geschlecht soll nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in Kommunal- und Gewerkschaftspolitik präsent sein. Nach der Devise: Nur, wo Frauen mitentscheiden, werden sie auch beachtet. Ohne Zweifel, Adela Torres ist eine starke Frauenfigur. Im Publikum kommt die Frage auf, ob sie selbst als Frau im System nicht auch manchmal an ihre Grenzen stößt, woraufhin der Dolmetscher schmunzelnd antwortet: „Ich kenne Adela persönlich und kann versichern, dass sie keine Probleme hat, sich durchzusetzen.“
Lässt sich die Banane geradebiegen?
Auch im 21. Jahrhundert ist die Gleichberechtigung von Frauen noch kein Standard – besonders nicht in globalen Lieferketten. Um daran etwas zu ändern braucht es zum einen ein erhöhtes Konsumbewusstsein – ein Kilogramm Bananen für zwei Euro mag günstig sein, dafür zahlt man jedoch einen humanitären Preis. Zum anderen ist Transparenz gefragt. Unternehmen müssen Missstände in ihrer Lieferkette aufdecken, nur so kann sich die Situation ändern. Das Webseminar der Initiative Lieferkettengesetz hat über ebendiese Missstände aufgeklärt. Ein weiteres Mal wurde deutlich, wie wichtig ein Gesetz zu einer nachverfolgbaren Lieferkette ist. „Manchmal muss man zu viel fordern, um überhaupt etwas zu erreichen.“ – Adela Torres wird auch in Zukunft nicht müde, sich für Frauenrechte in der kolumbianischen Landwirtschaft einzusetzen.