Auf der Suche nach dem fairen Kissen

Bild: Antje Keller

Nathalie Waldenspuhl

Wo kommt dein Kissen her?

Fair Fashion ist im Kommen! Der Umsatz von Fair-Trade-Textilien in Deutschland hat sich in der letzten Dekade beinahe um das Zwölffache gesteigert, wie der Jahresbericht von TransFair – Verein zur Förderung des Fairen Handels in der Einen Welt aus dem Jahr 2019 zeigt. Aber Textilien bedeuten nicht nur Pullover, Jeans oder Wintermantel. Textilien sind auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Zum Beispiel Schlaf- oder Sofakissen. „Wo kommt dein Kissen her?“ – Hast du dich das schon mal gefragt?

Der Rosenstich ist ein Second-Hand-Laden in Tübingen. Bild: Jasmin Schmid

Hanna Smitmans, Geschäftsführerin des Tübinger Stadtteiltreffs Werkstadthaus und Antje Keller, Betreiberin des Second-Hand-Ladens Rosenstich haben sich diese Frage gestellt. Gemeinsam wollen sie ein Kissen nähen, das nur aus fair hergestellten Materialen besteht. Das bedeutet im Idealfall: GOTS-zertifizierte Stoffe, Fair-Trade Reißverschlüsse und eine nachhaltige Füllung, die für Allergiker*innen geeignet ist. Im Idealfall sollte die Lieferkette aller verwendeten Produkte eindeutig nachverfolgbar sein. Insgesamt sollen aus dem Projekt acht Kissen entstehen, die dann das Sofa des Werkstadthauses schmücken. „Das alles auf einmal wird wohl nicht möglich sein“, räumt Hanna ein, „Da ist dann die Frage: Wo machen wir Abstriche, um das Projekt trotzdem durchziehen zu können?“  Der Versuch wirft Fragen auf: Wie zugänglich sind faire Rohstoffe für Privatpersonen? Wie transparent sind die Produkte und deren Lieferketten, die wir in unseren Läden finden können? Und was macht eine perfekte Kissenfüllung aus?

Angefangen mit dem Stoff

Gesucht und gefunden: Aus diesen Stoffen werden Bezüge genäht. Bild: Antje Keller

Stoffläden gibt es in und um Tübingen herum einige. Sicherlich bieten manche davon auch Baumwoll-Meterware an, die ein GOTS-Zertifikat trägt, also sowohl Umwelt- als auch Sozialstandards erfüllt. So sollte man zumindest meinen. Tatsächlich war die faire Stoffbeschaffung auf die Schnelle gar nicht so einfach: In den meisten Läden, die Antje aufgesucht hatte, gab es nur eine kleine Auswahl an Stoffen mit dem Siegel. Einer davon war Händisch-Design in Derendingen. Der Laden verkauft unter anderem so genannte zertifizierte lillestoffe, diese sind aber hauptsächlich aus Jersey und eher für Kinderartikel geeignet. Vielleicht kann der Großhandel eher mit fairen Stoffen dienen. Antje fragt nach, bei der Reutlinger Filiale von Singer-Nähmaschinen. Diese erkundigte sich bei ihrem Händler Westfalenstoffe – erfolglos. Das Unternehmen webt seine Stoffe zwar in Deutschland, jedoch haben die Produkte kein Zertifikat. Dass es kein Zertifikat gibt, heißt natürlich nicht per sé, dass die Stoffe nicht nachhaltig sind. Auch die Anfrage beim Albstädter Textilunternehmen Albstoffe scheiterte. Schließlich würden sie nur mit Jerseystoff arbeiten, dieser wäre für ein Sofakissen ohnehin das falsche Material. Weitere Auskunft über die eigene Stoffherstellung gab das Unternehmen nicht.

Warum denn überhaupt Baumwolle? Zwischendurch spielte Antje mit dem Gedanken, die Bezüge mit Stoffen aus alternativen Naturfasern zu nähen. Textilien aus Leinen oder Hanf sind im Anbau nachhaltiger als Baumwolle, da sie weniger Wasser benötigen und auch im heimischen Klima wachsen können. Mehr über den Einsatz von Hanffasern in der Textilindustrie könnt ihr in diesem Artikel auf unserem Blog nachlesen. Der Gedanke führt Antje zum Hanfhaus Reutlingen. Zwar verkauft das Geschäft sämtliche Kleidung aus Hanffasern, Meterware führt es aber nicht. Weil das Projekt noch bis zum Jahresende fertig werden sollte, wendete sich Antje wieder der Baumwolle zu.

Auch auf einen fairen Garn muss beim Nähen geachtet werden. Bild: Antje Keller

Gerne hätte sie noch weiter nach fairen Stoffen in der Gegend gesucht, doch der zweite Corona-Lockdown durchkreuzte ihre Pläne. „Wir konnten nur weitermachen, wenn wir im Internet bestellen“, deswegen entschied sich Antje für den Onlineshop Siebenblau, der mit GOTS-zertifizierten Stoffen handelt und diese selber bedruckt. Die Stoffe aus Berlin haben Antje überzeugt. Nicht zuletzt, weil sie ganz ohne Kunstfasern auskommen. Viele Hersteller*innen mischen ihre Stoffe mit einer geringen Menge Elasthan oder Polyester – die Siebenblau-Stoffe hingegen bestehen aus 100% Naturfasern. „Die könnte man am Ende sogar noch kompostieren. In anderen Stoff- und Kleiderläden findet man generell fast nur noch Polyester – das finde ich erschreckend.“ Auch von Siebenblau ist das Nähgarn. Es besteht, wie die Stoffe, aus GOTS-zertifizierter Bio-Baumwolle und wurde in der EU gefertigt.

Schluss mit dem Reißverschluss

Nachdem die Stoffe im Warenkorb lagen, ging Antjes Suche weiter: Die Kissenbezüge brauchten einen Reißverschluss und zwar fair produziert. Aber gibt es das überhaupt? Erneut musste Antje sich durchfragen, das Ergebnis enttäuschend: „Selbst die alt eingesessenen Stoffläden wussten nicht, wo ihre Reißverschlüsse herkommen, auch große Firmen haben keine Antwort darauf.“ Die einzige Auskunft erhielt Antje vom Augsburger Textilhersteller Manomama. Dieser bezieht alle seine Rohstoffe (außer Baumwolle) aus der Region, „also [in] einem Radius von ca. 300 km“, wie es auf der Homepage heißt. Das hieße dann, dass auch Reißverschlüsse regional produziert würden. Leider ergab Antjes Nachfrage, wo Manomama seine Reißverschlüsse denn herbekomme, nichts: Den Bestellungen von Privatpersonen könne der entsprechende Großhändler nicht nachkommen, da die Mengen zu gering und die Produktionskosten zu hoch seien. Bei den anderen befragten Läden – Händisch Design, Singer und Siebenblau – gibt es scheinbar kaum eine Nachfrage nach fair produzierten Reißverschlüssen. Dabei ist es einleuchtend, dass auch diese zu den Produkten gehören, die man für gewöhnlich in Billiglohnländern anfertigt.

Einen fairen Reißverschluss finden? Gar nicht so einfach!

„Das interessante ist ja, dass die Produktion so schwer nachzuvollziehen ist“, erklärt Hanna. „Wir kommen nicht an die Informationen ran! Und an dieser Stelle bräuchte es ein Lieferkettengesetz: Dann würde ich die Produktionsumstände kennen und mich bewusst für oder gegen den Kauf entscheiden.“

Die perfekte Füllung?

Das größte Problem stellt derzeit jedoch die Füllung dar. Was darf in so ein Kissen überhaupt rein? Eine Nachfrage bei der Hochschule für Textil und Design in Reutlingen, Fachbereich Nachhaltigkeit, ergibt: Nachhaltig ist alles, was langfristig im Einsatz ist. Letztendlich können also auch Kunstfasern eingesetzt werden, diese sind besonders langlebig. Ideal ist das aber nicht: „Polyester ist nun mal Plastik und jede Nachfrage nach Plastik ist zu hoch.“, so Hanna. Auch recycelte Naturprodukte kommen in Frage – klassischer Weise Daunen und Federn. Diese sind aber nur schwer waschbar. Daunen pappen zusammen, wenn sie nass werden. Außerdem sind Tierprodukte nicht geeignet für Allergiker*innen und somit keine Option für das Kissenprojekt. Alternativ kann man auch improvisieren: Prinzipiell können sämtliche Materialien ein Kissen füllen, wenn sie geschreddert werden. Man könnte zum Beispiel alte Kleidung recyclen und die Baumwollfetzen als Füllung nutzen. Auch denkbar sind Pflanzenfasern aus Hanf, Leinen oder Kapok. Bei pflanzlichen Produkten ist aber Vorsicht geboten: Gerade Baumwolle klumpt nach dem Waschen zusammen und ist schwer zu trocknen.

Baumwolle als Füllung eignet sich nur bedingt.

Fest steht: Die ideale Kissenfüllung gibt es nicht, wie Antje bemerkt: „Die Suche nach der Füllung ist sehr unbefriedigend. Man findet keine Lösung, die zu 100% ökologisch, praktisch und kostengünstig zugleich ist. Trotzdem will man, dass es irgendwie weitergeht.“ Damit es weitergeht, haben Hanna und Antje nach konkreten Möglichkeiten gesucht, die Kissen zu befüllen. Bei dem nachhaltigen Onlineshop Avocadostore hat Hanna letztlich diese vier Sofakissen bestellt, die mit Kapokfasern und recycelten Latexflocken gefüllt sind. Durch das Latex sind die Kissen nicht vollkommen allergikerfreundlich, jedoch ist die gemischte Füllung gut waschbar und enthält keine Tierhaare. Für diese Kissen hat Antje nun Bezüge genäht. Weitere vier Bezüge wurden mit dem Polyester von alten Kissen gefüllt.

Fazit:

Ein faires Produkt herstellen – das ist nicht einfach. Tatsächlich braucht man einen langen Atem und die Bereitschaft zur ausführlichen Recherche. Hanna und Antje hat das nicht abgeschreckt, sie haben – mit ein paar Abstrichen – eine Lösung für acht faire Kissen gefunden. Antjes Fazit lautet: „Ich bin zufrieden, dass wir es so weit gebracht haben. Leider fehlte mir im Alltag aber oft die Zeit, um mich mal ‚so richtig‘ dahinter zu klemmen.“ Denn Informationen über die Herkunft und Produktion von Textilien liegen nur selten auf dem Silbertablett. So frustrierend die Informationsbeschaffung auch sein kann – für Hanna ist sie der Ansporn, sich weiterhin für eine transparente Lieferkette einzusetzen: „Eigentlich ist es doch eine Katastrophe: Wenn ich bei Ikea ein Kissen suche, finde ich sofort eins. Wenn ich aber anfange, auf ökologische und soziale Standards zu achten, finde ich auf einmal fast gar nichts mehr!“

Anstrengend, aber mit Erfolg: Diese Kissen zieren ab jetzt das Werkstadthaus-Sofa. Bild: Antje Keller

Dabei gibt es auch fair produzierte Ware, die nicht als solche gekennzeichnet ist. Das Attest für Mindeststandards durch ein GOTS-Siegel ist sehr teuer und aufwendig. Zu aufwendig für viele kleine Händler*innen, die vor allem regional anzutreffen sind. Privatpersonen sollten es leichter haben, wenn sie sich über die Herkunft ihres gekauften Produktes im Klaren sein wollen. Dass die Suche nach fairen Reißverschlüssen erfolglos blieb, zeigt, wie undurchsichtig die Textilbranche dahingehend ist. „Obwohl ich [als Privatperson] bei so vielen Läden und Hersteller*innen nachgefragt habe, habe ich keine Antwort bekommen“, resümiert Antje.

Angebot entsteht aber nur durch Nachfrage. Anscheinend interessiert viele Konsument*innen die Herkunft ihres Produkts nur bedingt. Man muss Druck auf große Textilhersteller*innen ausüben, um eine Änderung zu erreichen. Aber: „Es sollte nicht die ganze Verantwortung bei den Konsument*innen liegen“, so Hanna. „Um ein faires Kissen kaufen zu können, muss man erst mal eins finden. Und da liegt es dann vielleicht doch an der Gesetzgebung, gewisse Standards verpflichtend zu machen.“

Jedenfalls steht fest: Die faire Beschaffung von Textilien braucht mehr Aufmerksamkeit. Mit dem Kissenprojekt wollen Hanna und Antje sensibilisieren. Eben weil viele Menschen sich bisher noch nie die Frage gestellt haben, wo Kissen oder andere Textilwaren herkommen, wird es Zeit für Aufklärung. Die Ergebnisse dieser aufwendigen Recherche wollen sie nutzen, anderen Näher*innen bereitstellen und so zu vielen weiteren fairen Kissen inspirieren.

Was sind deine Erfahrungen mit fairer Beschaffung? Bist du als Privatperson oder sogar als Unternehmen schon an deine Grenzen geraten? Hast du Empfehlungen für faire (Online-)Shops? Schreib es uns gerne in die Kommentare!

Immer noch auf der Suche nach dem fairen Kissen? 

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