Ein Pfad durch den Siegel-Dschungel

Von Magali Jung

Nachhaltig und fair

Nachhaltigkeit schreiben sich viele Unternehmen auf die Fahnen. Doch was ist Nachhaltigkeit überhaupt? Es ist ein sehr schwammiger Begriff, denn im Wortsinne bedeutet er nur, dass etwas einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ist also ein Shirt aus Polyester, dass im Wald
auch nach 500 Jahren zur Hälfte noch vorhanden ist, im Wortsinne nachhaltig? Oder eher ein Wollshirt, dass innerhalb weniger Monate im Wald verkompostiert wäre? Nachhaltig bedeutet für mich das Gegenteil des Wortsinnes. Ein nachhaltiges Kleidungsstück ist für mich eines, das
möglichst wenig Nachklang hat, also möglichst wenig Ressourcen verbraucht, möglichst wenig Umweltschäden verursacht und sich nach einer langen Tragezeit möglichst rückstandslos wieder in die Natur einfügt. Das gleiche Problem gibt es mit dem Begriff fair. Fair bezieht sich im Textilbereich meistens auf die Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter:innen in den Herstellungsländern sollen Löhne erhalten, von denen sie leben können und sichere Arbeitsverträge erhalten. Sie sollen einer Gewerkschaft beitreten dürfen und unter hohe Arbeitsschutzstandards tätig sein. Für mich greift fair noch viel weiter. Fair beinhaltet für mich
auch, dass die Arbeiter:innen in der Produktion mit Naturmaterialien hantieren und dass im Anbau keine Pestizide verwendet werden, die die lokalen Böden und damit die Gesundheit der Bewohner:innen schädigen. Außerdem, dass sie nicht in giftigen Dämpfen aus der Materialausrüstung arbeiten und mit giftigen Flüssigkeiten beim Färben umgehen müssen. Für mich beinhaltet fair also auch gleich den gesamten ökologischen Aspekt, die ganze Lieferkette betreffend. Das sind hohe Ansprüche und nur wenige Siegel beinhalten all das, daher werde ich die einzelnen Siegel mit ihren Schwerpunkten vorstellen und du kannst dir selbst überlegen, was für dich die wichtigsten Kriterien sind. Jeder kleine Schritt in Richtung
nachhaltiges Handeln zählt!

Die fünf Kriterien

Ich habe fünf Kriterien ausgewählt, die meines Erachtens wichtig sind,
um die Siegel miteinander vergleichen zu können.
1. Lieferkette – Anbau, Handel, Verarbeitung, Verkauf.
2. Chemie – Chemische Stoffe in Anbau, Verarbeitung und Ausrüstung.
(genaueres zu den einzelnen chemischen Stoffen bietet der Greenpeace-Ratgeber Textil-Siegel: https://www.greenpeace.de/publikationen/e01211-greenpeace-chemie-einkaufsratgeber-textil-siegel-2018.pdf)
3. Materialien – Verwendete Stoffe, Knöpfe, Reißverschlüsse.
4. Nachhaltig – Langlebigkeit und Verwertung nach der Tragzeit.
5. Fair – Existenzsichernde Löhne, Kinderarbeit, Arbeitsschutz,
Gewerkschaften.

Das Siegel des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft e.V.
Bild: Magali Jung: Thermounterwäsche aus Merinowolle mit IVN-Siegel

IVN BEST

Das Siegel des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft – IVN BEST – hat wohl die umfassendsten Kriterien. Es betrifft die gesamte Lieferkette, vom Anbau bis zur Verpackung, in der die Kleidungsstücke ausgeliefert werden. An keinem Punkt der Lieferkette
dürfen die Naturtextilien die Gelegenheit haben, durch Kontakt mit konventioneller Kleidung oder giftigen Chemikalien verunreinigt zu werden. Im Anbau werden ausschließlich Naturfasern erlaubt, diese müssen unter kbA-Richtlinien angebaut oder die Tiere unter kbT-Bedingungen gehalten werden. kbA (kontrolliert biologischer Anbau) und kbT (kontrolliert biologische Tierhaltung) sind europäische Siegel, die für gesunde Arbeits- und Haltungsbedingungen stehen und deren Kriterien von unabhängigen Instituten überprüft werden. Für die Herstellung der Naturtextilien sind sämtliche giftige Chemikalien verboten, Arbeiten, die die Sicherheit der Arbeiter:innen gefährden können (wie Sandstrahlen zum Bearbeiten von Jeans) sind nicht erlaubt. Auch alle Teile, die nicht zum Material selbst gezählt werden (Labels, Verschlüsse, Wattierung, Nähgarn, Kordeln, Spitze, Gummibänder etc.), müssen giftstofffrei produziert worden sein. Alle verwendeten Stoffe werden auf ihre Reib- und Lichtechtheit geprüft, sodass gewährleistet ist, dass die Kleidungsstücke lange halten. Da die Stoffe ausschließlich aus nicht chemisch veränderten Naturfasern bestehen, sind sie auch kompostierbar. Entlang der gesamten Lieferkette werden die Unternehmen verpflichtet, ihren Arbeiter:innen Existenzsichernde Löhne zu zahlen, Arbeitsverträge mit Pausen, Urlaub und festgelegten Arbeitsstunden auszuhändigen, auf Kinderarbeit zu verzichten ebenso wie auf Zwangsarbeit, den Arbeitsschutz zu beachten und den Zusammenschluss in Gewerkschaften zu erlauben.

In den meisten Naturtextilien zu finden ist dieses Siegel; Bild: Global Standard

GOTS organic

Einen ähnlichen Standard hat GOTS (Global Organic Textile Standard)
vorzuweisen, nur, dass es ein Siegel gibt („organic“), dass das gesamte
Kleidungsstück betrifft, und eines, welches angibt, wie viel Prozent
dieses Kleidungsstückes aus biologisch angebauten Fasern besteht, die Arbeitsbedingungen unterliegen weiterhin den Siegelkriterien. Hier wird das GOTS organic-Siegel vorgestellt

Ob als Extralable, auf das Etikett gedruckt oder eingewebt – das GOTS-Siegel ist leicht erkennbar; Bild: Magali Jung

GOTS organic unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von
IVN BEST: es sind bis zu 5% Material im Stoff erlaubt, die nicht aus
Naturfasern bestehen, sodass oft die GOTS statt der IVN-Zertifizierung
vorhanden ist, wenn ein Kleidungsstück Elasthan enthält. Und was
wären Leggings, enge Jeans und manche Unterwäsche ohne den Zusatz
von Elasthan? Das Elasthan ist hierbei mit Baumwolle umwickelt und
berührt die Haut nicht. Alle anderen Kriterien sind gleich, was auch daran liegt, dass GOTS
unter anderem vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft
(IVN) gegründet wurde.

Hat nachgezogen mit Nachhaltigkeit: OEKO-TEX; Bild: Oeko-Tex

MADE IN GREEN by OEKO-TEX

MADE IN GREEN by OEKO-TEX zieht nach, allerdings in einem unübersichtlichen Zusammenstellen der verschiedenen Siegel von OEKO-TEX (bekannt ist hier vielleicht das OEKO-TEX 100 für Schadstoffprüfung) und mit dem Vorsatz „die Unterstützung der
Betriebsstätten bei der Messung und nachhaltigen Verbesserung ihrer Umweltleistung, Arbeitsschutzleistung und sozialen Verantwortung”1 zu gewährleisten. MADE IN GREEN fokussiert sich hierbei in der gesamten Lieferkette auf die Schadstofffreiheit, auf die Fairness den Arbeiter:innen gegenüber, Reduktion oder Verzicht auf chemische Stoffe und eine Langlebigkeit der Materialien. Was mir für ein nachhaltiges Siegel fehlt, ist der Fokus auf Naturfasern und kontrolliert biologischen Anbau/Tierhaltung, sodass die Umweltschäden auch nach der Herstellung weiter minimiert werden.

Fokus auf Recyclingfähigkeit: Cradle to Cradle; Bild: Cradle to Cradle Products Innovation Institute

Cradle to Cradle

Cradle to Cradle ist ein Siegel mit der Auffassung, möglichst recyceltes oder recyclingfähiges Material zu verwenden, um möglichst wenig Nachklang in der Umwelt zu verursachen. Dem Siegel liegen die fünf Kriterien Unschädlichkeit des Materials, Weiterverwertung/Recycling,
Klimaschutz, Wasser- und Bodenreinheit und Fairness im Sozialen zugrunde, die jeweils in vier Stufen erreicht werden können. Dadurch ist die Zertifizierung relativ komplex gestaltet und für Verbraucher:innen nicht leicht nachzuvollziehen. Ich beschränke mich hier auf den höchsten Standard: Platin. Manche dieser Vorgaben sind allein auf das letzte Fertigungsglied der Lieferkette ausgerichtet. Alle verwendeten Chemikalien im Herstellungsprozess müssen bekannt und als unschädlich bewertet worden sein. Die verwendeten Materialien sollen leicht recycelbar oder kompostierbar sein, wenn einzelne Teile dies nicht sind, sollen sie leicht
zu entfernen sein. Es wird für die gesamte Lieferkette und den geplanten Verbrauch der ökologische Fußabdruck berechnet und ausgeglichen. Energie muss zu 100% aus erneuerbaren Quellen kommen. Es soll positiv Einfluss auf die Wasserqualität des Abwassers
genommen werden. Auf faire Arbeitsverhältnisse was die Arbeitszeit, existenzsichernde Löhne, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Ruhetage und Arbeitsschutz angeht, muss geachtet werden. Insgesamt sind die Richtlinien sehr ausdifferenziert und lange nicht so klar zu durchdringen wie bei IVN BEST oder GOTS organic. Eine Fokussierung auf biologisch angebaute Naturfasern gibt es nicht, die Recyclingfähigkeit eines Werkstoffes wird als gleichwertig angesehen.

1 https://www.oeko-tex.com/importedmedia/downloadfiles/MADE_IN_GREEN_by_OEKO-TEX_R__-_Standard_de.pdf, 8.

Fair Wear works to improve labour conditions for garment workers. Together with its partners, Fair Wear takes practical steps and tests new solutions to find a better, fairer way to make clothes; Bild: Fair Wear Foundation

Fair Wear

Die Regelungen, die hinter dem Siegel der Fair Wear Foundation stehen, betreffen nicht die gesamte Lieferkette, sondern die auftraggebenden Unternehmen (Marken) und die Fabriken, in denen die Kleidung genäht wird. Über zu verwendende chemische Mittel, zu verwendende Materialien und die Nachhaltigkeit der Produkte selbst sagt dieses Siegel nichts aus. Es konzentriert sich allein auf die fairen Arbeitsbedingungen in den Fabriken und achtet dabei, wie die anderen Siegel auch, auf die Bezahlung existenzsichernder Löhne, Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit, Arbeitszeiten, die der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entsprechen (maximal 48h/Woche, begrenzte Überstunden, wie bei den anderen Siegeln auch), feste Arbeitsverträge und das Recht auf Gewerkschaften, außerdem auf die Schulung derArbeiter:innen, ihre Recht wahrzunehmen. Die Fair Wear Foundation folgt in ihren Richtlinien denen der ILO, sie hilft Unternehmen und Fabriken, diese Richtlinien umzusetzen und überprüft die Einhaltung. Sie trägt also dazu bei, dass die Regeln gegen ausbeuterische Arbeit weltweit nicht nur von Regierungen verabschiedet, sondern auch ausgeführt werden.

Im Kleidungsstück sieht das Lable manchmal etwas anders aus; Bild: Magali Jung

Das einzige staatliche Siegel; Bild: Grüner Knopf

Grüner Knopf

Der Grüne Knopf ist ein staatliches Siegel und umfasst mindestens die Fabriken, in denen genäht wird und den davorliegenden Produktionsschritt. Es nimmt die auftraggebenden Unternehmen in die Pflicht, die Lieferkette zu überprüfen. Es wird also nicht explizit eine Verpflichtung für die gesamte Lieferkette gefordert. Für die Produktkriterien, also die verwendeten chemischen Mittel, die zu verwendenden Materialien und die Nachhaltigkeit der Produkte braucht es eine Vorzertifizierung mit einem der anderen hier vorgestellten Siegel. Die fairen Arbeitsbedingungen sind an den ILO-Standards ausgerichtet. Auch bei diesem Siegel ist vieles schwammig formuliert, relevant, geeignete Maßnahmen und wesentliche Risiken sind die Leitworte.

Tauchen oft zusammen auf: GOTS und der Grüne Knopf; Bild: Magali Jung

Fairtrade für mehr Empowerment in der Produktion; Bild – Fairtrade International

Fairtrade

Das Siegel des Fairtrade Verbands umfasst die gesamte Lieferkette. Die Verwendung von chemischen Stoffen im Produktionsprozess wird den Bestimmungen der EU unterworfen. Materialien sind nicht auf Naturfasern beschränkt, allerdings auf verantwortungsvoll produzierte Fasern, die Langlebigkeit der fertigen Produkte wird nicht geprüft. Die fairen Arbeitsbedingungen stehen im Vordergrund, explizit müssen Gewerkschaftsvertreter:innen im Komitee zur Einhaltung und Umsetzung der Siegelkriterien vertreten sein. Alle Arbeiter*innen erhalten Informationen über ihre Rechte, die Gewerkschaftsvertreter:innen werden jährlich in Arbeitsrecht und Verhandlungsmethoden fortgebildet. Fachliche Schulungen sind für alle Arbeiter:innen anzubieten. Von vorneherein werden manche Produktionsländer (z.B. Belarus, Iran, Saudi Arabien) ausgeschlossen, da dort keine Versammlungsfreiheit gegeben ist. Faire Arbeitsverhältnisse was die Arbeitszeit, existenzsichernde Löhne, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Ruhetage und Arbeitsschutz angeht, ebenso wie die Versammlungsfreiheit sind einzuhalten. Die Siegelkriterien sind übersichtlich, sehr detailliert und klar formuliert angegeben.

Auf was ihr achten solltet

Die Wahl der Kleidung solltet ihr aber nicht allein aufgrund eines Siegels treffen, es zählt auch, wie ernst es das Unternehmen damit meint. Ist es ein Unternehmen, das seit über 30 Jahren ausschließlich ethisch korrekt und ökologisch arbeitet oder eines, das eine kleine Öko-Linie neben der großen konventionellen herausbringt? Ist es vielleicht ein neues, kleines Label, das sich die Zertifizierung finanziell noch nicht leisten kann, das auch ohne Siegel fair und nachhaltig arbeitet? Dazwischen gibt es alle Spielarten und auch hier muss jede und jeder selbst entscheiden: was ist für mich persönlich am wichtigsten?
(Dazu findet ihr einen spannenden Artikel von Annika Seibel zu: Wie fair ist H&M’s faire Linie? – FAIRstrickt) Wir gehen nicht alle den gleichen Weg, ich hoffe aber, ihr konntet mit mir zusammen ein kleines Stück auf den Pfaden des Siegel-Dschungels
wandern und seht jetzt wieder Bäume statt Urwald!

Quellen:
https://naturtextil.de/qualitaetszeichen/qualitaetszeichenbest/
https://global-standard.org/de
https://www.oeko-tex.com/de/unsere-standards/made-in-green-by-oeko-tex
https://www.c2ccertified.org/resources/detail/cradle_to_cradle_certified_product_standard
https://www.fairwear.org/
https://www.fairtrade.net/about/the-fairtrade-textile-programme
https://www.greenpeace.de/engagieren/nachhaltiger-leben/gruen-tut
https://www.ilo.org/global/standards/lang–en/index.htm

Weiterführende Links zu Siegelchecks, die zu unterschiedlichen Meinungen kommen:
https://www.ci-romero.de/labelchecker/
https://www.siegelklarheit.de/

Eine kleine Auswahl an Marken, die schon nachhaltig und fair gearbeitet haben, als es noch nicht hip war:
https://www.komodo.co.uk/
https://www.hirsch-natur.de/
https://www.groedo.de/
https://www.livingcrafts.de/
https://www.sawaco.ch/ueber-uns/
https://engel-natur.de/de
https://www.cosilana.de
https://about.cotonea.de/
https://www.hempage.de/
https://www.lana-organic.de/
https://www.leelacotton.de/
https://serendipity-organics.de/
https://www.pigeonorganics.com/
https://www.disana.de/