Nathalie Waldenspuhl
Fair Fashion war nie ein großes Thema für mich. Dass ein T-Shirt für acht Euro nicht menschenwürdig produziert sein kann, war mir natürlich klar. Auf der ein oder anderen NTV-Doku habe ich auch schon einmal Bilder aus Bangladesch gesehen und vor zahlreichen Primark-Skandalen konnte auch ich meine Augen nicht schließen. Trotzdem siegte bei mir bisher immer der Eskapismus. Mit Ausreden à la „Faire Mode kann sich ja eh keiner leisten“ rettete ich mich immer in eine Abwehrhaltung. Und trotzdem wurde ich neugierig, als ich bei der Veranstaltungsbelegung für das neue Semester auf das FAIRstrickt-Seminar „Online-Kommunikation“ gestoßen bin. In der Veranstaltungsbeschreibung hieß es:
„Die Akteur*innen der Initiative FAIRstrickt haben 2019 erste erfolgreiche Aktionen in Tübingen und Umgebung durchgeführt und Aufmerksamkeit auf Faire Mode und Faire Beschaffung gelenkt. Im Jahr 2020 soll es über das ganze Jahr hinweg Angebote und Aktionen geben. Diese möchten wir mit einem Blog begleiten, um das Wissen und die Ressourcen nachhaltig zu speichern und Öffentlichkeitsarbeit für die Initiative zu betreiben.“
Ich hatte viele Fragen. Wann ist Mode denn fair? Ist dieses Adjektiv wirklich ein Prädikat? Und wo bitte kann ich diese faire Kleidung dann überhaupt kaufen? Vielleicht war diese Veranstaltungsbeschreibung ein erster Aha-Effekt in Bezug auf meinen Modekonsum – auf jeden Fall wurde mir klar, dass ich in diesem Thema Nachholbedarf hatte. Das Seminar bot mir die Chance, sich endlich einmal intensiv mit den Fragen rund um Fair Fashion auseinanderzusetzen und gleichzeitig Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit zu sammeln. Darum meldete ich mich an.
Ein Seminar um einen Modeblog?
Der Blog rund um das Bündnis FAIRstrickt entstand durch eine Kooperation mit der Universität Tübingen im Rahmen eines Service Learning-Seminars im Sommersemester 2020.
Die Idee hinter dem Service Learning ist das Einbinden von sozialem Engagement im Studium. Studierende bekommen in Form eines Seminars spezifische Inhalte von einer Lehrperson vermittelt. Durch die Zusammenarbeit mit Praxispartner*innen bietet sich letztlich die Gelegenheit, das Gelernte in die Tat umzusetzen. Zusammengearbeitet wird hierbei mit gemeinnützigen Vereinigungen, die ein ökologisches oder soziales Ziel anstreben. Mehr Informationen zum Projekt Service Learning finden sich auf der Homepage der Universität Tübingen.
Im Sommersemester 2020 wurden insgesamt drei Seminare mit der FAIRstrickt als Praxispartner angeboten. Eines davon war eben das Seminar Online-Kommunikation für Fair Fashion, mit dem Ziel, ein Blog-Konzept zu entwickeln und eigene Beiträge zu verfassen. Geleitet wurde das Seminar von Katrin Gildner, die unter anderem als freiberufliche Dozentin viele Workshops anbietet, die sich mit dem Erschaffen und Gestalten von Medien beschäftigen. Wer Katrin ist und was sie macht, wenn sie nicht gerade einen Blog mit uns auf die Beine stellt, findet man am besten auf ihrer Webseite heraus.
Uns Student*innen wurde in allererster Linie ein Seminar versprochen, indem man lernt, wie man Inhalte fürs Web aufbereitet und wie das Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit funktioniert, Vorerfahrungen waren dabei keine gefordert. So kam es, dass sich unsere Seminargruppe als ein bunt gemischter Haufen zusammenfand: Zehn Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen mit unterschiedlicher Erfahrung, sowohl im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit als auch im Bereich der fairen Mode. Die einen achteten kaum auf die Produktionsbedingungen ihrer Kleidung, die anderen kauften schon seit Jahren nur noch fair produzierte Kleidung oder Second-Hand-Ware. Dementsprechend spannend war auch unser erstes Zusammentreffen im April auf Zoom – leider konnten wir uns wegen der Corona-Pandemie nie in Präsenz begegnen.
Speed-Dating mit der FAIRstrickt
In einer Auftaktveranstaltung trafen sich alle an den Seminaren Beteiligten zu einer Art Speed Dating, bei dem sich verschiedene Akteur*innen des Bündnisses vorstellten. Sie lieferten Hintergrundinformationen und berichteten über Aktionen, die im vergangenen Jahr stattgefunden haben. Besonders die Präsentation von Volker Rekittke hat sich bei mir eingeprägt. Im Jahr 2019 reiste er nach Bangladesch. Er dokumentierte mit Bildern und Interviews die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken, zeigte auf, wie widrig die Arbeit in dieser Industrie ist. Ein Interview mit Volker ist mittlerweile auch auf dem Blog erschienen. Irgendwann fällt auch das Stichwort Rana Plaza: Der Einsturz des bangladeschischen Fabrikgebäudes im Jahr 2013 tötete über tausend Menschen und gilt als einer der verheerendsten Unfälle der Textilindustrie. Ich war ergriffen von den Bildern und den Erfahrungen, die Volker hier beschrieb und am Ende des Vortrags war auch mir klar: Ein Lieferkettengesetz muss her! Umso größer war meine Motivation, fortan mit dem Bloggen loszulegen! In den kommenden Wochen sollten wir uns an drei Samstagen online treffen, um das Projekt umzusetzen.
Die erste Sitzung – Blogging, Briefing und Brainstorming
Richtig los ging es dann aber erst einen Monat später. Im ersten Redaktions-Zoom-Meeting erklärte Katrin uns die Basics rund um das Bloggen. Was genau bedeutet dieses Verb bloggen eigentlich und wie funktioniert ein Blog überhaupt? Welche Rolle spielt Social Media dabei? Im Vorfeld hat sich jede*r von uns näher mit einem Fair Fashion Blog auseinandergesetzt. Im Austausch bemerkten wir, dass jeder einzelne Blog eine spezifische Zielgruppe hat und eigene Strategie, um diese zu bedienen. Das hieß im Umkehrschluss: Auch wir brauchten eine Strategie. Bis zum nächsten Seminar sollten wir diese erarbeiten. Da aber selbst die beste Blogging-Strategie nicht funktioniert, wenn dabei der Inhalt fehlt, war es Zeit für einen Input. Hierzu trafen wir uns zu einem Briefing mit Hanna Smitmans, der Geschäftsführerin des Werkstadthauses Tübingen. Sie war als FAIRstrickt-Koordinatorin die Ansprechpartnerin für unsere Seminargruppe. Hanna frischte unser Wissen über die Textilindustrie nochmal auf, erklärte uns, was sie und die übrigen FAIRstrickt-Akteur*innen sich von einem Blog wünschen und gab Inspirationen für mögliche Themen. Mit den Eindrücken des Briefings machten wir uns an die erste Redaktionssitzung: Es wurde diskutiert und gebrainstormed über die Inhalte, mit denen wir uns die letzten Wochen über beschäftigt haben – so entstanden die ersten Artikelideen. Ich fand es beachtlich, wie vielfältig die Themenauswahl war: Von Rezensionen für Second-Hand-Läden und fairen Shops (sowohl online als auch vor Ort in Tübingen), über Recherchen mit Hintergrundwissen über faire Beschaffungsmethoden bis hin zu kreativen Do-it-Yourselfs war alles abgedeckt. Bis zur nächsten Seminarsitzung sollte jede*r seine Idee in einen Artikel umsetzen.
Auf der Zielgeraden
Die nächsten zwei Seminar-Samstage liefen ähnlich ab: Wir besprachen bereits Geschriebenes und tauschten Ideen für mögliche Artikelbilder und Teaser auf Instagram aus. Ideen für neue Artikel entstanden und wurden besprochen. Insgesamt forderte das Seminar drei Artikel von jedem von uns. Katrin war dabei wichtig, dass wir uns an möglichst verschiedene Textsorten wagten: Hier ein Interview, da ein Erfahrungsbericht, vielleicht auch mal ein Rechercheartikel – sodass am Ende eine breite Auswahl an verschiedenen Texten auf dem Blog landen sollte. Trotzdem blieben wir frei in unserer Entscheidung, durften unsere Themen nach eigenen Interessen aussuchen und auch die Art und Weise, wie wir berichten wollten blieb uns selbst überlassen. Mit dieser lockeren Arbeitsanweisung konnten wir uns kreativ den Themen annähern, die uns interessierten – das war eine willkommene Abwechslung zu der ansonsten eher statischen Seminarstruktur. Jede*r hat eine Menge dazugelernt: Sei es über verschiedene Textilsiegel, Rassismus in der Modebranche, eine Schäferei auf der Schwäbischen Alb oder das Angehen von Do-It-Yourselfs, die man schon lange einmal ausprobieren wollte. Der journalistische Rahmen kam dabei natürlich nicht zu kurz – unsere Redaktion hatte verschiedene Arbeitsgruppen und zusammen legten wir sogar einen Redaktionsplan an, den wir am Ende an die FAIRstrickt weitergaben. Spätestens als die ersten Artikel auf WordPress online gingen wurde uns klar – wir haben hier einen ‚echten‘ Blog geschaffen! Und darauf waren wir dann schon ein bisschen stolz!
Hat’s was gebracht?
Das Seminar hat mich auf jeden Fall bereichert und ich bin froh, in so kurzer Zeit so viele Einblicke in die Themen rund um Fair Fashion bekommen zu haben. Gleichzeitig habe ich gelernt, wie viel Aufwand hinter einem guten Blog-Konzept steht und in welcher Weise er zur Öffentlichkeitsarbeit beiträgt. Auch die fristgerechte Abgabe und die Nachbereitung der Blogartikel war nicht unanstrengend, dennoch bin ich froh, das Seminar belegt zu haben und Teil dieses Blogs zu sein. Und die Frage, wer den Preis der Mode bezahlt, habe ich mir bestimmt nicht zum letzten Mal gestellt.